Wenn alle Labelchefs so drauf wären wie Limb Schnoor – die Musikwelt wäre eine bessere. Der frühere Förderer von HELLOWEEN und RHAPSODY ist nicht nur ein zuverlässiger und angenehmer Businesspartner sowie ziemlich konsequent und stiltreu, was Bands auf seinem Label Limb Music betrifft, sondern er liefert auch die szeneweit umfangreichsten Infoblätter zu seinen Veröffentlichungen. Auch zu „The Bivouac“, dem zweiten Album der Italiener VEXILLUM, zeichnet Limb den gesamten Werdegang der Combo detailliert nach. Top!
Damit ist natürlich noch nichts über die Qualität der Combo gesagt, doch ein weiterer Pluspunkt, den Limb Music im Vergleich zu anderen Labels einheimst, ist die Tatsache, dass neben den businessüblichen Übertreibungen immer auch eine gesunde Portion Realismus in den Waschzetteln vorkommt. So heißt es über „The Bivouac“ unter anderem: „(…) sicher ein Album, das Diskussionen heraufbeschwört (…)“. Was zweifelsfrei zutrifft, denn sowohl das Outfit der Combo (Waldschrate im Schottenrock), als auch die musikalische Seite – Euro-Power-Metal trifft Folk und Celtic Rock – dürfte bei zahlreichen Gralshütern der reinen Lehre die Scheuklappen in Hab-Acht-Stellung wandern lassen.
Durch ihre italienische Herkunft sind stilistische Annäherungen an RHAPSODY oder LABYRINTH nicht verwunderlich, die konsequente Hinzunahme der Fiedel als stilprägendes Element dagegen schon. Durchweg bewegen sich VEXILLUM auf der Überholspur, und man kann jetzt darüber streiten: Wären sie ohne die manches Mal doch arg unangenehm fröhlich dudelnden Geigentöne eine weitere, unspektakuläre Power-Metal-Combo? Oder wäre es vielmehr so, dass sich VEXILLUM mit der Devise „weniger ist mehr“ einen großen Gefallen tun würde?
Der Rezensent ist gespalten, auf der einen Seite beweist die Combo ein feines Gespür für eine geschmeidige Balance aus Speed, Härte und Melodie, auf der anderen Seite weckt das Gefiedel unangenehme Assoziationen mit einem musikalischen Genre, um das der Kritiker gerne einen weiten (Geigen-)Bogen macht. Hier und dort kratzen die Italiener an der Grenze zum BLIND-GUARDIANschen Melodic-Speed („The Hunt“! „Valhalla“! – nein, letzteres ist kein Cover), und unterm Strich muss man einfach sagen, dass die straighten Passagen der Band besser zu Gesicht stehen und sie in Zukunft den Folk/Celtic-Anteil zugunsten der metallischen Schlagkraft aufgeben sollten – auch wenn sie damit vielleicht einen Großteil ihrer unverwechselbaren Identität aufgeben würden.
FAZIT: Auf der Wacken-Bühne würden VEXILLUM vermutlich eine gute Figur abgeben - und was aus dem Munde des Kritikers gar nicht mal durchweg so positiv gemeint ist, wird bei der Zielgruppe dagegen als großes Lob aufgenommen werden. Wer sich eine Mischung aus melodischem Bombast (Speed) Metal und Celtic/Folk Metal gut vorstellen kann und angesichts dieser Mischung nicht vom kalten Grauen erfasst wird, der sollte in „The Bivouac“ ruhig reinhören – kompetent gespielt sind die Songs allemal, mit Sänger Darrio Vallesi hat man eine außer- und ungewöhnliche Stimme an Bord, und die Hitdichte ist unabhängig von der Instrumentierung beeindruckend. Ganz subjektiv jedoch bleibt festzustellen: weniger wäre beim nächsten Mal tatsächlich mehr. Aber vielleicht haben VEXILLUM bis dahin die Wacken-Metalgemeinde schon im Sturm erobert und können auf die Traditionalisten pfeifen. So oder so: es darf diskutiert werden.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.10.2012
Francesco Ferraro
Dario Vallesi
Andrea Galvanico, Michele Gasparri
Efisio Pregio
Limb Music
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21.09.2012