Unsung Records, Adrian Benavides und Markus Reuter als Produzenten … Diese drei Faktoren genügen bereits, um diese Scheibe stilistisch im Felde KING CRIMSONscher Klangavantgarde einzuordnen – oder doch nicht?
„Sand“ ist noch ein bombastisches Prog-Metal-Intro, doch mit „Triebwerk“ fördert Strippenzieher Dowerk, Jahrgang 1983, seinen eigentlichen Stil zutage: ZWEITON machen Instrumentalmusik, denen man die Präfixe Art oder Post vorstellen darf. Das sechsminütige Eingangstück gefällt vor allem durch seine rhythmische Wandelbarkeit, während in puncto Melodien hypnotischer Minimalismus herrscht. Der Komponist spielt mit knappen Motiven und variiert diese auf vielfältige Weise, wodurch zugleich Eingängigkeit und Spannung entstehen. Würde man das überlange „9 Days Of Tripping“ indes als Herzstück der Scheibe bezeichnen, träfe dies insofern nicht ins Schwarze, als ZWEITON hier zunächst Ambient Noise verzapfen (braucht man nicht wirklich) und dann perkussiven Expressionismus betreiben: straighter Groove, heavy Riffs sowie eine Art Frage-und-Antwort-Spiel mehrerer gegenläufiger Melodien.
Das Stück scheint in drei Teile gegliedert zu sein, deren letzter wie eine Lösung oder Entspannung anmutet. So interessant sich dies anhört, so bezeichnend ist es auch für den Titel des Albums: „Form“ geht auch eingedenk des mäandernden „Eis“ als Studie im Deklinieren durch. Hier wie anderswo werden zunächst Kernelemente etabliert und formell in unterschiedliche Kontexte gebettet. Diese umfassen ebenso mannigfaltige Störgeräusche wie Streicher und verlangen, dass man sich den Songs aufmerksam widmet, um ihr Potenzial gänzlich zu erfassen. Ansonsten erwecken sie rasch den Eindruck von Fahrstuhl-Muzak.
Bemüht man sich, gerät man in einen Sog, der gleichwohl selten die Ausmaße eines Strudels annimmt, denn ZWEITON sind trocken, kalkuliert und distanziert. In „Fehlfunktion“ wartet man darauf, am Kragen gepackt und mitgerissen zu werden, doch trotz der steten Steigerung und Verdichtung bis zum Ende hin enthält das Kollektiv dem Hörer die Läuterung vor. Mathematisch, bisweilen elektronisch kommt es daher, und erst mit „Licht“ (man lausche erneut der subtilen rhythmischen Verschiebung) weicht die anhaltend düstere Stimmung auf – womit ZWEITON noch einmal der Form entsprechen, denn Dowerks Konstrukt klingt von vorne bis hinten wie aus einem Guss, weshalb sich auf die Überraschungen im Rahmen halten.
FAZIT: Ob man es nun von Minimalmusik und IDM beeinflusst sieht oder Kunstrock nennt – „Form“ ist etwas für Menschen, die sich von Kälte als wesentlichem Bestandteil der Songwriting-Philosophie eines Künstlers nicht abschrecken lassen. Hält der Hörer für gegeben, dass sich Welt und Wesen zur Gänze verwissenschaftlichen lassen und dadurch erklärbar werden, sieht er über die fast akademische Berechnung hinweg, die ZWEITON betreiben, und lässt sich von ihnen packen.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.06.2012
Alexander Dowerk, Udo Dzierzanowski
Alexis Paulus
Unsung Records
43:04
25.05.2012