Unumstritten! Ja, es ist unumstritten, dass die fünf Herren aus New Jersey auf „The Long Division“ jede Menge zu sagen und singen haben. Und dass ihre Botschaften nicht gerade die lustigsten sind, vermittelt uns bereits das Album-Cover, auf dem eine blaue und eine rote Erdplatte durch einen tiefen, breiten Riss voneinander getrennt sind, so als hätte gerade das Eichhörnchen von Ice Age seine am Ende für es immer wieder unerreichbare Eichel dazwischen gejagt. Auf beiden Platten steht sich eine Menschenschlange gegenüber, allerdings in der genau umgekehrten Farbgebung. Und so stehen sie und warten darauf, auf die andere Seite zu kommen und der Riss wird breiter. Genau mit dieser Thematik beschäftigt sich „The Long Division“, der Riss der durch die Gesellschaft und den Menschen geht, den man zwar wahr-, aber gegen den man nichts unternimmt. Man steht nur da und wartet in seiner langen Reihe und sehnt sich nach dem Unerreichbaren. Ein Leben wie in einer Glasdrehtür, in der man sich im Kreise dreht, während alle anderen zuschauen und gaffen, statt nach dem Spalt hinein oder heraus zu suchen. Das Ergötzen am Leiden des Anderen als Ausgleich für's eigene Leiden.
3RDEGREE aber begeben sich auf die Suche nach den Schuldigen für solche Zustände und werden schnell fündig. Bereits auf „You're Fooling Yourself“, einer grandiosen musikalischen Eröffnung des Albums, die locker einen würdigen Platz auf jedem guten SPOCK'S BEARD-Scheibchen finden würde, rechnet das Ami-Quintett mit diesen Hardcore-Gotteseinpeitschern der American Tea Party ab: „You and your gun-toting, flag-waving corporate sell-outs / Bible belt simpletons quoting your founding fathers / You and your God...“ Na ja, solche Zeilen werden den Musikern in einem Land, in dem man vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann, vorausgesetzt man baut ordentlich auf's Gottvertrauen, nicht gerade viele Freunde einbringen. Obwohl progressive Rockmusik im Allgemeinen ja sowieso nicht auf einen großen Freundeskreis zurückgreifen kann und eben Worte zulässt, die im Mainstream schnell der Zensur anheim fallen würden.
Doch so leidenschaftlich und faszinierend das Album auch beginnt, leider vermag es musikalisch, ganz im Gegensatz zu den rundum hervorragenden, zeitkritischen Texten, das Niveau des gelungenen Anfangs nicht durchgängig zu halten, weil es einfach auf zu vielen „Tea Partys“ tanzt, während es schnell über die eigenen Tanzschritte stolpert. Da kleistern, um bei der Glasdrehtür zu bleiben, die Musiker ihre Scheiben mit lauter bunten Bildern von Bands voll und verschwinden am Ende dahinter völlig, weil man sie kaum noch selber erkennen kann und höchstens der eine oder andere Spalt noch ein buntes Musikfunkeln zum Vorschein bringt.
Mit dem knapp achtminütigen und zugleich längsten Titel „Incoherent Ramblings“ würdigt man ein großes Vorbild namens GENESIS, nachdem man zuvor irgendwo zwischen ELP und KING CRIMSON, auf „The Soci-Economic Petri Dish“ textlich zugleich mit „Just give them what they wanted“ die dümmliche Überflussmentalität und Sensationsgeilheit anprangerte, während das Instrumental „The Millions Of Last Moments“ ein wenig was von KANSAS' „Dust In The Wind“ hat. „A Work Of Art“ wiederum ist ein sehr ruhiges Piano-Stück mit zerbrechlichem Gesang und einem zarten Saxofon, das, ähnlich wie viele PETER HAMMILL-Balladen, jede Gletscherspalte weiter schmelzen lassen würde.
Am Ende bewegen sich 3DEGREE genau in dem Fahrwasser des modernen Ami-Progs, in dem ECHOLYN, DISCIPLINE, IZZ oder LITTLE ATLAS schon seit langem herumschippern. Wenn jetzt noch ein ordentlicher Sturm aufkommen oder ein paar Bandplakate von der verkleisterten Glastür abblättern würden, wäre endlich der Blick und das Ohr wieder frei für eine neue amerikanische Prog-Welle. 3RDEGREE jedenfalls ist alles zuzutrauen.
FAZIT: Ein weiteres typisches Werk progressiver Rockmusik „Made in USA“. Auch wenn die Musik nicht immer zu überzeugen weiß oder sich zu stark an klangliche Vorbilder anderer Prog-Größen klammert, so sind besonders die Texte reiz-, inhalts- und eindrucksvoll und sparen nicht mit harter Kritik am bestehenden amerikanischen System und an den Menschen, die sich so bequem in ihrer Schlange eingereiht oder hinter ihrer ewig gleichen Glasdrehtür eingerichtet haben. In dieser Beziehung ist „The Long Division“ die lebendige Antithese zu den sich noch immer so hartnäckig behauptenden Blödmann-Thesen, dass im Prog die Texte bedeutungslos sind. Doch wie es scheint, erfindet irgendwer eher Klinken für Glasdrehtüren als dass sich dieses Vorurteil endlich im Nichts verflüchtigt.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.01.2013
Robert James Pashman
George Dobbs
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Eigenpressung / Just For Kicks
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14.09.2012