Diese Wiederveröffentlichung der 2010er Scheibe von 65DAYSOFSTATIC wird als Doppel-CD in einer Papphülle ausgeliefert, wobei der zweite Tonträger die EP "Heavy Sky" enthält, welche während der gleichen Aufnahmesitzungen entstand. Hinzu kommen mehrere Bonustracks, unter anderem von den Japan-Pressungen ("String Loop" ist entbehrlich, weil wenig mehr als ein Abziehbild von THE PRODIGY ohne Hit-Ambitionen, "The Wrong Shape" indes ein zudringliches 8Bit-Experiment) der Alben der Post-Rocker, und "Tiger Girl" als Remix ihrer ebenfalls Leerzeichen-resistenten Kollegen SLEEPMAKESWAVES. Der Sinn der Neuauflage erschließt sich angesichts der ebenfalls existierenden Deluxe-Erstfassung nicht, denn exklusiv sind letztlich nur "Memorydress", "After San Francisco" (zwei der rockigsten Tracks, allerdings mit ärgerlichen Klangunterschieden) und die unerheblich fiepende Bearbeitung von "Tiger Girl".
Zum vierten und ersten Album der Combo ohne konzeptionellen Unterboden an sich: 65DAYSOFSTATIC live und im Studio sind zwei Paar Schuhe, denn im Aufnahmebunker wird hemmungslos experimentiert und ohne Rücksicht auf Umsetzbarkeit getüftelt. Seinerzeit hieß das Motto wohl: weniger Gitarren und vor allem kein Loudness-Terror wie bei anderen modernen Produktionen. Druckvoll starten die Künstler mit dem Digital-Funk "Mountainhead" trotzdem und stellen zugleich ihr ureigenes Musikverständnis zur Schau: Mensch und Computer vereinen sich im nicht mehr auf seine Klangquelle zurückzuführenden Ton, so auch während des treibenden "Crash Tactic" (Hauptmotiv von Seiten der Gitarren) und beim Breakbeat "Weak04", in dem man dem altbekannten Stop-and-go-Prinzip noch ein wenig Neues abgewinnt.
"Piano Fights" ist eher Ulrich Schnaus als Edgar Froese (der hätte allerdings den beinahe Ambient "Debutante" verzapfen können) und gemeinsam mit "Come To Me" (THE CUREs Robert Smith steuert seine verfremdete Stimme bei) das Konsens-Lied des Albums. Dem gegenüber stehen monotones Vierviertel-Gerödel ("Dance Dance Dance" und das zu lange "Tiger Girl") sowie eine Vorausahnung des nunmehrigen Glitch-Trends in Gestalt von "Go Complex". Tanzbare Grooves, wie sie später PENDULUM gewinnbringend an die Massen gebracht haben, wenden 65DAYSOFSTATIC in der Regel nicht der Eingängigkeit wegen an, sondern hörbar ironisch beziehungsweise zum Durchatmen vorm nächsten Landgang mit Laserschwert und Streitaxt gleichermaßen.
Die wie das Album von FUDGE TUNNELs Alex Newport abgemischte EP startet mit dem noisigen Techno-Edit von "Tiger Girl", dem sich der fulminante Gitarren-Rave "Sawtooth Rising" anschließt, quasi ein Signaturstück für das Projekt. Das euphorische Pluckern von "The Wrong Shape" oder "Beats Like A Helix" steht dem in nichts nach, weshalb man nur spekulieren kann, weshalb die Macher das Zeug praktisch als Ausschuss auf einem Kurzformat verwurstet haben. Die Geräuschkulisse "Pacify" ist da schon eher B-Ware, genauso wie die typisch in Harmonie schwelgenden Postrocker "PX3" und "Guitar Cascades". Bleibt noch der Asien-Bonus "Come To Me" in der verzichtbaren Instrumental-Version. Komplettisten halten hiermit wirklich alles aus jener Bandphase in der Hand, auch wenn die leicht lieblose Aufmachung (Die Papphüllen zerkratzen die CDs langfristig) keine Neuanschaffung rechtfertigt.
FAZIT: "We Were Exploding Anyway" ist wohl eines der wichtigsten Erzeugnisse von 65DAYSOFSTATIC und zeigt Vordenker auf der Schwelle zwischen Rock und Elektronik bei der Arbeit. Die Zusätze dieser Neuauflage sind beträchtlich, die Ausbeute mutet aber ebenso wie die Aufmachung der Doppel-CD nur durchschnittlich an. Wer das Zeug noch nicht kennt, greift aber unbedingt zu.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.03.2013
Simon Wright
Joe Shrewsbury
Paul Wolinski
Rob Jones
Hassle / Bird's Robe
51:11 + 63:15
14.12.2012