Da legt man sich schon seine todsichere Argumentationskette mit der Quintessenz „Wer soll das denn kaufen?“ zurecht, und da kommt der Freund der Schwester daher und präsentiert seinen neuen Erwerb, ausgerechnet das (durchaus formschöne) neue Doppel-Digipak aus dem Hause A PERFECT CIRCLE. Dass hier abgesehen von einem Song nichts Neues vorzufinden ist, kontert er mit der Begründung, er habe sich bisher noch nichts von der Band zugelegt.
Es gibt sie also doch, die nicht für möglich gehaltene Zielgruppe derer, die das nunmehr seit fast einer Dekade auf Eis liegende Projekt von Billy Howerdel (ASHES DIVIDE) und Maynard James Keenan (TOOL) zwar noch aus alten Tagen kennen und sich offensichtlich auch heute noch dafür interessieren, die aber noch keines der Alben besitzen. Dabei wäre Letzteres nun wirklich keine Kunst; zwei auch in ihrer Gesamtheit lohnenswerte Vollwertalben und eine sehr experimentelle und zumindest streckenweise schöne Cover-Kompilation, das kann man sich schon mal gönnen, zumal man monetär nur wenig mehr investieren müsste als in den gemischten Doppeldecker.
Dass Weihnachten wohl nicht ganz zufällig vor der Tür steht, ist der Veröffentlichung natürlich an der Nasenspitze abzulesen, ein frisch aufgetauter Höhlenmensch würde die rein kommerziellen Absichten dahinter erkennen. Die Sinnlosigkeit eines APC-Best-Ofs wird schon auf dem Coverartwork manifest, das den Eindruck nahe legt, hier wird eine lange Liste aus Studioalben durch den Mixer gejagt. Dabei werden auch Bilder von Singles und Coverinlays verwurstet, weil drei einsame Coverabbildungen eben etwas erbärmlich aussehen würden. Die 360-Grad-Drehung ist schneller ausgeführt als einem lieb ist.
Der Anlass inspiriert immerhin dazu, sich mal wieder mit den liebgewonnenen und abgenutzten Platten zu befassen, und man darf konstatieren: Der von Melancholie geschwängerte, oft bedächtig arrangierte Alternative Rock auf „Mer De Noms“ und „Thirteenth Step“ darf in einem gewissen Maß Zeitlosigkeit für sich beanspruchen. Von allzu wagemutigen Experimenten nahm das Label daher liebend gerne Abstand, ergo besteht Disc 1 zu gleichen Teilen aus Material von beiden Langspielern, fast durchgehend in der Originalreihenfolge. Das unveränderte Hintereinander von „Judith - Orestes – 3 Libras“ (von „Mer De Noms“) und „The Package – Weak And Powerless – The Noose“ (von „Thirteenth Step“) würde man im Fußball gar als lupenreinen Hattrick bezeichnen. Wer A PERFECT CIRCLE also tatsächlich noch nicht kennt, wird hier Zeuge einiger Highlights, die sich auch im Albumkontext tatsächlich überwiegend in diesen Bündeln besonders starker Songs abspielten, welche von weniger aufregenden Inseln der Ruhe flankiert wurden.
Apropos Inseln der Ruhe: Das einzige Kaufargument für Hardcore-Fans befindet sich auf Disc 2 und ist doch wieder kein wirkliches. „By And Down“ ist der erste neue APC-Song seit neun Jahren – und für diese Zeitspanne eine wahre Enttäuschung. Wo ist die Power von „Judith“, wo der schwelende Aufbau von „The Package“ oder „The Noose“? „By And Down“ schließt sich eher den spannungsarmen, meditativ-belanglosen Momenten an, die vor allem „eMotive“ streckenweise befielen. Dieses wiederum ist mit seinen drei offensichtlichsten Highlights vertreten, dem stark uminterpretierten John-Lennon-Cover „Imagine“, dem wunderbaren „Passive“ aus dem nie realisierten TAPEWORM-Projekt von Keenan und Trent Reznor sowie die energische Rhythmussalvenballade „Counting Bodies Like Sheep To The Rhythm Of The War Drums“. Dazu gesellt sich noch das etwas abfallende „When The Levee Breaks“ sowie Live-Versionen von „People Are People“, „3 Libras“, Gravity“ und „Fiddle And The Drum“, wobei der Abschlusstrack mit einem saftigen „Fuck Yeah“ aus dem Publikum besonders live klingt.
FAZIT: Selbst bei einer dermaßen durchschaubaren Labelpolitik ist es am Ende müßig, über Sinn und Unsinn dieser Veröffentlichung zu diskutieren. Dem potenziellen Verbraucher müssen lediglich die Fakten klar sein: Selbst das Doppel-CD-Set (alternativ gibt es auch eine abgespeckte Single-CD) bietet abgesehen von einem äußerst mittelmäßigen neuen Song und vier nicht unbedingt essentiellen Live-Versionen nichts, was nicht auch auf den regulären Studioalben zu finden wäre. Was der Verbraucher nun mit dieser Information anfängt, ist ihm überlassen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.11.2013
Billy Howerdel, Jeordie White
Maynard James Keenan, Billy Howerdel
Billy Howerdel, Troy Van Leeuwen, Danny Lohner
Billy Howerdel
Josh Freese, Tim Alexander
Diverse
Universal / Virgin
43:02 (CD1) + 45:10 (CD2)
15.11.2013