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Argos: Cruel Symmetry

Stil: Progressiver Rock aus Deutschland, der eigentlich aus Canterbury kommen müsste!

Cover: Argos: Cruel Symmetry

„Grausame Symmetrie“ - spätestens nachdem wir im Mathematikunterricht verzweifelt irgendwelche Parallelogramme mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen am Ende doch noch zusammenführen wollten, wissen wir, dass all die Symmetrie etwas Grausames in sich trägt. Da befindet sich zwar was nebeneinander, trifft sich aber nicht, weil es im Grunde gleich, eben ein Abbild des Anderen, ist. Doch noch schlimmer ist diese Symmetrie des Lebens – der ewige Gleichschritt, das blinde Nebeneinander, diese Führer-wir-folgen-dir-Mentalität oder, wie es ARGOS so schön zum Ausdruck bringen: „Ride On Parallel Lines“.

Doch es gibt auch etwas wirklich Gutes an der „Cruel Symmetrie“, dem mehrteiligen symphonischen Epos mit 21-minütiger Laufzeit des gleichnamigen Albums der deutschen Canterbury-Progger, die es mit ihrem dritten Album locker schaffen, in einem Atemzug mit GENTLE GIANT und CARAVAN genannt zu werden. Denn was für GENESIS ihr „Supper's Ready“ war, ist für ARGOS nun ihre „Cruel Symmetry“ geworden. Ein kleines Kunstwerk, das an Abwechslungsreichtum nicht mehr zu übertreffen ist und so leichtfüßig und zugleich wild zwischen allen progressiven Spielarten des Retro-Prog, Canterbury, Jazz-Rock, aber auch Brit-Pop, Fusion oder 70er-Jahre-Kult hin- und hertänzelt, dass dem Hörer beinahe schwindelig davon wird. Hammond Orgeln, Streicher, Flöten, Mellotron, akustische und elektrische Gitarren, Synthesizer, Bässe, jede Menge Schlaginstrumente und Satzgesänge der Marke GENTLE GIANT sowie auch beinahe zerbrechliche Stimmen im besten PETER HAMMILL- oder ROBERT WYATT-Stil erfüllen den ARGOS-Klangkosmos, der seine Musik-Meteoriten nicht Richtung Russland, sondern direkt durch die Boxen in die heimischen Stuben jagt und dort eine wahre Verwüstung in allen schön „schubladisierten“, durchschaubaren Musiksammlungen hinterlässt, weil sich einfach keine passende Schublade dafür findet.

Dieses deutsche Quartett unter Federführung des Mainzers THOMAS KLARMANN, der zwar auf diesem Album singt, aber nicht lacht, räumt ordentlich mit allen Vorurteilen auf, die gewisse Bands zu standardisierten Vorzeigegrößen werden ließen, egal ob sie VAN DER GRAAF GENERATOR oder SOFT MACHINE heißen. ARGOS kann durchaus genauso klingen, aber eben auch völlig anders, wie beispielsweise bei der Geschichte über den fliegenden Robert, der eines Tages in einem Gewitter mit seinem Regenschirm aufsteigt und für ewig verschwunden bleibt – so etwas Ähnliches kennen wir natürlich schon aus dem „Struwwelpeter“. Aber wenn auf „The Story Of Flying Robert“ ein Saxofon sich zärtliche Duelle mit dem Gong liefert oder JAN GARBAREK auf KENNY G trifft, dann trauen wir irgendwann unseren Ohren kaum noch. Der Song macht mit all seiner musikalischen und textlichen Hintergründigkeit dermaßen Spaß, dass man sich sofort wünscht, Ähnliches auch mal im Radio zu hören. Ich bin mir sicher, dass nicht nur ich darüber begeistert wäre.

Oder „Paper Ship Dreams“, ein Lied mit mittelalterlichen Klangstrukturen, samt Spinett und Flöte, das einen so herrlich an die längst vergessenen GRYPHON erinnert und sogar ein wenig verspielt vor sich hinjazzt, während im Text die Frage gestellt wird, woran es wohl liegt, dass die Papier-Schiffchen nicht gleich untergehen und die kindliche Angst beleuchtet wird, wann dieser Moment wohl eintreten wird.

Mit dem nachdenklichen „Open Book“, so eine Art Beziehungsdrama, ausgelöst durch die Tatsache, dass jemand erkennt, dass die geliebte Person neben ihm nicht zu durchschauen oder verstehen ist wie ein offenes Buch, sondern eine Mauer in sich um die nächste baut. Dazu Musik, die diese Spannung genau auf den Punkt bringt – ein Wechselbad der Gefühle und Noten.

FAZIT: ARGOS – das ist nicht nur eine Band aus Deutschland, die eigentlich in Canterbury beheimatet sein müsste, sondern es ist auch DIE Überraschung auf dem progressiven Superlabel aus Deutschland „Progressive Promotion Records“. Da klingt der Nachfolger zu ARGOS auf diesem Label, T's „Psychoanorexia“, der mir einige recht unfreundliche Gästebucheinträge unter meiner Kritik beschert hat, weil hier eine sich beleidigt fühlende, „anonyme“ Fanbasis der Meinung ist, Herr T hätte das „Album des Jahres“ geschaffen, zwar trotzdem noch gut, aber keinesfalls so gut wie „Cruel Symmetry“.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.02.2013

Tracklist

  1. Cruel Symmetry
  2. a) Quiet Circle
  3. b) Equivocal
  4. c) Parallel Lines
  5. d) Far Away In Time
  6. e) Out There (Instrumental)
  7. f) March Of The Legged Salmon Farmers (Instrumental)
  8. g) Agents Of Fear
  9. h) Parallel Lines (First Reprise)
  10. i) Anonymus Wyaholics (Instrumental)
  11. j) Blind Rain
  12. k) Meltdown
  13. l) Parallel Lines (Second Reprise)
  14. m) Epiloque
  15. Paper Ship Dreams
  16. Chance Encounters
  17. Possessions
  18. The Story Of Flying Robert
  19. Caught Within The Light
  20. Open Book

Besetzung

  • Bass

    Thomas Klarmann

  • Gesang

    Thomas Klarmann, Robert Gozon

  • Gitarre

    Robert Gozon, Rico Florczak, Thomas Klarmann

  • Keys

    Thomas Klarmann, Robert Gozon

  • Schlagzeug

    Ulf Jacobs

  • Sonstiges

    Thomas Klarmann (Flöte, Soundscapes), Robert Gozon (Strings), Dieter Gunterman (Alto Saxophone)

Sonstiges

  • Label

    Progressive Promotion Records

  • Spieldauer

    54:37

  • Erscheinungsdatum

    14.12.2012

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