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Birth Control: Two Eggs – Two Concerts

Stil: Urwüchsiger Krautrock

Cover: Birth Control: Two Eggs – Two Concerts

Zur kurzen Erinnerung für diejenigen, die mit BIRTH CONTROL noch unverschämt-unchristliche Platten-Cover und einen Sauseschritt in Richtung Tanzfläche verbinden, wenn eine anschwellende Sirene lauter und lauter wurde, bis wir dann endlich mitten zwischen der Disco-Gemeinde unsere langen Loden zu „Gamma Ray“ wild durch die Gegend warfen und Luftgitarre dazu spielten. Genauso sah ein Teil meiner Jugend aus. Eine Jugend, die sich eng mit der Musik von BIRTH CONTROL verbindet und die mit Sirenengeheul sogar die Mauer überwand, egal wie viele Verbote diesbezüglich auch existierten. „Gamma Ray, Gamma Ray! Made Of Pure Existence!“ - diese Worte schmetterten wir den Polizisten entgegen, die den Staat mit ihren Sirenen vor diesen gefährlichen Krautrockern bewahren und beschützen wollten. Und dabei wussten wir mit unseren staatlich verordneten Russisch-Kenntnissen noch nicht einmal, was für gesellschaftskritischer Sprengstoff sich hinter diesem Text verbarg. Egal, wir alle waren die „Gamma Rays“, ganz ähnlich wie später eine Hamburger Band, die sich nach diesem Kult-Song benannte.

Zur Aufklärung für diejenigen aber, denen die Krautrocker BIRTH CONTROL, die verstärkt Hardrock-Klänge in das musikalische Krautgemisch einfließen ließen, noch nicht bekannt sind, denen sei gesagt, dass mit „Two Eggs“ von MIG zwei grandiose Konzertmitschnitte ausgegraben wurden, die sechs Jahre auseinanderliegen und endlich wieder ein auch klanglich voll akzeptables Live-Gefühl widerspiegeln, welches von den Musikern um den Schlagzeug spielenden Ober-Geburtenkontrolleur BERND NOSKE ausging. Dazu gibt’s noch ein in „unheiliger“ Dreifaltigkeit daherkommendes Digi-Pack samt Huhn und grinsenden Spiegeleiern sowie ein achtseitiges Booklet.

Auf „Two Eggs – Two Concerts“ bekommt der BIRTH CONTROL-Fan wirklich alles geboten, was diese Band ausmachte: lange, vertrackte Stücke sowie jede Menge Instrumental-Soli, bei denen natürlich ganz besonders das Schlagzeug die meisten Freiräume erhält, aber auch elektronische Klangexperimente, hart rockende Bass- und Gitarrenausflüge sowie aggressive Gesangseinlagen. Eben Spielfreude pur! Und dabei ist scheißegal, ob das Konzert nun 1977 in Korbach oder 1983 in Hamburg abgeht.

Beim 77er Konzert gibt es jedoch zwei Besonderheiten – die eine, welche von vielen sicher nicht als besonders positiv empfunden wird, ist die Tatsache, dass „Gamma Ray“ fehlt. Die andere aber, die noch bemerkenswerter ist, liegt im Vorhandensein des sehr raren Live-Titels „Meta Ventilator“, in dem sich die Musiker über 22 Minuten lang extrem austoben dürfen und ein sehr langes Bass-Solo keinerlei Wünsche mehr offen lässt.

Zwar enthält dann das 83er Konzert eine (nicht sonderlich beeindruckende) Gamma-Ray-Version, in der die Sirene fehlt und zugleich die Vorstellung der Musiker erfolgt, die es aber trotz Mitsinge-Aufforderung nur auf knapp 15 Minuten bringt. Trauriger Hintergrund dieses Konzertes ist zudem, dass es eins der letzten von BRUNO FRENZEL, dem Gitarristen und neben Noske einzigen Mitstreiter auch des 77er Konzerts, ist, der ein halbes Jahr später an einer schweren Krankheit verstirbt, was auch zur vorzeitigen Auflösung von BIRTH CONTROL führte. 10 Jahre später sind sie dann wieder unter der Federführung von „Nossi“ zurück.

Nicht umsonst zählen BIRTH CONTROL zu den führenden Vertretern des Krautrocks, auch wenn sie sich mit dieser Begrifflichkeit, die ja im Grunde als Verunglimpfung der deutschen Musikszene von den Engländern erfunden wurde, nie so richtig wohl fühlten. Ganz im Gegensatz dazu verhält es sich aber mit ihren Provokationen gegen die katholische Kirche, egal, ob sie diese in ihrem Bandnamen oder auf den Covern, auf welchen durchaus ein Priester von Riesenbrüsten zermalmt werden durfte, auslebten. Eine „unheilige“, blasphemische Freude, die da die Geburtenkontrolleure provokant verbreiteten. Typische „Krauts“ eben.

Live aber waren BIRTH CONTROL fast immer absolut göttlich, wovon diese beiden Konzertaufnahmen auch den letzten Ungläubigen überzeugen werden.

FAZIT: Zwei wirklich dicke Konzert-Eier, die uns hier von BIRTH CONTROL ins Musik-Nest gelegt werden. Krautrock live und ohne doppelten Boden, der jeden Engländer über so viel deutsche Spielfreude garantiert erblassen lässt und jedem Fan der Geburtenkontrolle ein wonnevolles Lächeln ins Gesicht zaubert.

Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.07.2013

Tracklist

  1. CD 1 – Konzert Korbach, 01.09.1977:
  2. Backdoor Possibilities
  3. My Mind
  4. Behind Grey Walls
  5. Meta Ventilator (Bass-Solo)
  6. Fall Down
  7. The Work Is Done (inkl. Drum-Solo)
  8. CD 2 – Konzert Hamburg, 24.03.1983
  9. The Work Is Done
  10. Don't Call Me Up
  11. Nuclear Reactor
  12. Take Alarm
  13. Greedy Eyes
  14. The Day Of Doom Is Coming
  15. The King Of An Island
  16. Pick On Me
  17. Gamma Ray
  18. Medley:
  19. a) Get Down To Your Fate
  20. b) Hoodoo Man
  21. c) Stop Little Lady

Besetzung

  • Bass

    Horst Stachelhaus, Jürgen Goldschmidt

  • Gesang

    Bernd Noske, Bruno Frenzel, Stefan Linke

  • Gitarre

    Bruno Frenzel, Stefan Linke

  • Keys

    Zeus B. Held, Ulrich Klein

  • Schlagzeug

    Bernd "Nossi" Noske

Sonstiges

  • Label

    MIG Music GmbH

  • Spieldauer

    156:41

  • Erscheinungsdatum

    28.06.2013

© Musikreviews.de