Am Anfang war der Blues – allerdings nicht bei CHRIS FARLOWE, der bekam ihn erst in seinen Solo-Zeiten!
Es ist schon eine gehörige Umstellung der Hörgewohnheiten nötig, wenn das Solo-Album „Glory Bound“ des ehemaligen THUNDERBIRD- & COLLOSSEUM-Sängers, der solche Jahrhundert-Songs wie „Rope Ladder To The Moon“ oder „Lost Angeles“ ekstatisch coloss(eum)al hinschmetterte, im hauseigenen CD-Player nur noch gemächlich rotiert. Das ist kein abgefahrener Jazz-Rock mehr, voller Soul und einer Stimme, die nicht nur Steine erweichen, sondern auch Gläser zerspringen lassen kann. Hier erklingt ein in die Jahre gekommener und ruhig gewordener Sänger, der ähnlich wie zwei seiner ebenfalls in die Jahre gekommenen Zeitgenossen singt, die sich damals durch ihre außergewöhnliche Stimme auszeichneten, der im Laufe der Zeit allerdings ein wenig das Volumen abhanden gekommen ist: ROGER CHAPMAN und JOE COCKER.
„Glory Bound“ ist im Grunde eine Blues-Balladen-Sammlung von jeder Menge Songs, welche Farlowe zwar interpretiert, die aber nicht von ihm sind. So greift der Begriff Solo-Album auch nicht richtig, es ist eher ein Album voller Blues-Cover-Versionen solcher Musiker wie DELBERT McCLINTON, RANDY NEWMAN, JOHNNY GUITAR WATSON oder LONNIE MACK. Selbst der Titelsong „Glory Bound“ stammt nicht aus Farlowes Feder, sondern von MIKE D'ABO, dem ehemaligen Leadsänger bei MANFRED MANN, der diesen Titel schon in den 60er Jahren für Farlow geschrieben hat, genauso wie den Bonus-Live-Song „Handbags And Gladrags“.
Nach dem dritten Hördurchgang fühle ich mich sogar sehr an GARY MOOREs „Ballads & Blues“-Album erinnert, in dem dieser Ausnahme-Gitarrist & -Sänger eine Sammlung seiner eigenen, ausschließlich ruhigen Songs zum Besten gibt. Und auch dort fehlten, genauso wenig wie auf „Glory Bound“, das ursprünglich im Jahr 2000 erschien und nun als remasterte und mit zwei Bonustiteln versehene 2013er Neu-Ausgabe vorliegt, Streicher und Saxofone oder Geigen und Stealguitar nicht. Am Ende war das Moore-Album unglaublich gefällig und was für die romantischen Abende, an denen man sich auf die bevorstehende Beischlafzeremonie vorzubereiten versuchte und gerade die Kerzen im Schlafzimmer anzündete, um die richtige Atmosphäre zu schaffen. Genauso gefällig ist auch „Glory Bound“ geworden – da spürt man nichts von den harten soldatischen Kerlen mit Knarre in der Hand auf dem Cover, sondern denkt eher an einen unsicheren Jüngling mit Blümchen in der Hand, der ängstlich seinem ersten Rendezvous entgegenfiebert. Spätestens wenn dann das Duett „Feel The Power Of Love“ erklingt, ein schlimmer Schmachtfetzen, der hier als Bonus beiliegt, weiß wohl jeder, warum ich auf diesen Jüngelchen-Vergleich gekommen bin.
Überraschend ist dann nur noch der letzte offizielle Song (vor den beiden Bonustiteln), in dem CHRIS FARLOWE „I Think It's Gonna Rain Today“ von RANDY NEWMAN ausschließlich mit der Kraft seiner Stimme und ohne jede instrumentale Begleitung intoniert. Das ist mutig, verlangt Hochachtung, aber trotzdem bleiben ein paar Zweifel übrig.
FAZIT: So also klingt es, wenn eine der ganz großen, wirklich legendären Reibeisenstimmen den Blues hat, aber nur den ruhigen und ein Titel wie „Shaky Ground“ schon zu einem regelrechten Kracher wird. Musik vielleicht zum Träumen, aber bei weitem keine Musik mehr, die ein wahres Musik-Erlebnis im COLOSSEUM-Sinne ist. Irgendwie schade, aber trotzdem nicht schlecht. Perfekt musiziertes Mittelmaß!
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.06.2013
John Price
Chris Farlowe
Norman Beaker, Micky Moody, Mick Green
Dave Baldwin, Brendan Gore
Paul Burgess
Lenni (Saxofon), Dave Lewis (Saxofon), Steve Simpson (Fiddle), Paul Jones (Harmonika), Sheila Gott, Jane Fraser (Backing Vocals), Fingle String Quartet
MIG Music / Sony Music
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31.05.2013