Das Leben ist ungerecht.
Das Musikerleben noch ungerechter!
Da bewegt sich anno 1991 der singende Reibeisen-Stimmen-Meister CHRIS FARLOWE, der bereits ATOMIC ROOSTER und COLOSSEUM als Frontmann das gewisse Etwas, eben seine unverkennbar raue Stimme, verlieh, auf musikalischen Solo-Pfaden, die eigentlich nicht solo, sondern mit namhafter Verstärkung gepflastert sind. Da glaubt der „Farlowe“ sogar, mit einer spanischen Veröffentlichung unter seinem Nachnamen ein Musik-Achtungszeichen zu hinterlassen. Doch stattdessen bleibt nur ein trauriges Fragezeichen übrig, das am Ende zwar „Waiting In The Wings“ heißt, aber nie zu anerkannten Höhenflügen aufsteigen kann, trotzdem sich diese Flügel aus den namhaftesten Musik(er)-Federn zusammensetzen.
Die spanische „Farlowe“-CD, die ein Jahr später als englische Ausgabe den Titel „Waiting In The Wings“ trägt, wird eingespielt von Musikern, die bei Bands wie TEN YEARS AFTER, WHITESNAKE, IF, HUMBLE PIE, BAD COMPANY, KING CRIMSON und natürlich COLOSSEUM feste Mitglieder waren – und sogar der KING CRIMSON-Texter PETE SINFIELD steuert zwei Texte, inklusive den Titelsong, bei. Doch trotzdem floppt die Scheibe gehörig und führt ein unbeachtetes Schattendasein. Vielleicht kann diese Neuveröffentlichung von MIG ja endlich „Waiting In The Wings“ aus dem Schatten ans Licht führen. Vergönnt sei's dem Album, auch wenn's am Ende kein musikalische Ausnahmewerk, aber durchaus ein hochinteressantes Sammlerstück ist.
Überhaupt lastete auf dieser geflügelten Scheibe ein wahrer Fluch. Der erste Vermarktungsversuch, um eine größere Plattenfirma in Amerika zu finden, da die Musik in ihrer starken Rhythm'N'Blues-Ausrichtung doch typisch amerikanisch klang und die beteiligten Musiker Rang und Namen hatten, scheiterte jämmerlich. Niemand war interessiert und nur das kleine spanische Label „Barsa Records“ erbarmte sich, die Scheibe 1991 unter dem Titel „Farlowe“ herauszubringen und eine Veröffentlichungstour durch Spanien zu promoten. Dann erklärte sich „Freestyle Records“ bereit, unter dem Titel „Waiting In The Wings“ die LP in England zu veröffentlichen. Doch unmittelbar zuvor wurden die Masterbänder gestohlen, die sich auf mysteriöse Weise wieder anfanden, aber letzten Endes mit anderen Versionen von „Waiting In The Wings“ und „Don't Walk Away“ herausgebracht wurden. Da Farlowe selbst die spanischen Versionen besser gefielen, hat der Käufer dieser 2013er Neuauflage das große Glück, als Bonus beide Versionen auch in ihren spanischen Mixen zu genießen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Doch jeglicher Fluch und alle Ungerechtigkeiten hin oder her – auch dieses Farlowe-Solo-Album kann, ganz ähnlich wie das hier bereits besprochene „Glory Bound“ (2000), nicht halten, was der Sänger und die beteiligten, namhaften Musiker versprechen. Es drängt sich sogar der Verdacht auf, dass CHRIS FARLOWE zwar ein hervorragender Sänger, aber unkreativer Musiker bzw. Komponist ist, der ohne eine feste Stammband höchstens ein paar mittelmäßige Pop-, Soul- und Blues-Alben zustande bringt. Und so sind sogar die Texte, die PETE SINFIELD beisteuert, nur ziemlich lasche Liebessongs geworden, denen die wahre lyrische Sprachgewalt, die man von seinen King-Crimson- oder Emerson-Lake-&-Palmer-Songs kennt, völlig abgeht.
Bereits „Rock And Roll Soldier“, der Einstieg in Farlowes Solo-Come-Back-Versuch-Album, ist kein Rock'N'Roll, sondern eher ein poppiger Blues und klingt mit seinen 0-8-15-Rhythmen und den souligen Backgrounds nach CHICAGO, die zu der Zeit deutlich bessere Pop-Soul-Blues-Songs hinbekamen. Schnell kommt die Frage auf, ob solche Musik wirklich zu diesem Ausnahmesänger passt – und das soulige „Try Me“, der nächste Titel, gibt darauf Antwort: „Nein!“ Einem ERIC BURDON oder LUTHER VANDROSS würde man solche Musik viel eher zutrauen und auch ernsthaft abnehmen. Für CHRIS FARLOWE aber bedeutet diese Gratwanderung zwischen Pop, Soul und Blues, nicht das aus seiner Stimme herausholen zu müssen, wozu sie wirklich fähig ist. Doch gerade die enorme Bandbreite von Farlowes Stimme, die spätestens seit dem unglaublichen Album „Colosseum Live“ bekannt ist, wird hier nicht ausgespielt, sondern nur angekratzt und oftmals einfach glattgebügelt. Manchmal erscheinen dann sogar, wie bei „Hold On“, „Function To Function“ oder „Don't Walk Away“, die unzähligen weiblichen Gospel-Soul-Backgrounds, bei denen allen voran SAM BROWN brilliert, interessanter als Farlowes Lead-Vocals. Beinah kurios mutet es dann an, wenn „Working In A Parking Lot“ wie ein ZZ TOP-Rocker klingt, der es wegen mangelnder Qualität nicht auf ein offizielles Album geschafft hat. Danach darf mit „On The Beach“ eine Herz-Schmerz-Ballade die Ohren schmalzig umschmeicheln, bis „Too Late To Run For Cover“ diese wieder mit einer gehörigen Portion Blasinstrumenten soulig durchrüttelt und entschmalzt.
Auch scheint es zum farloweschen System geworden zu sein, pro Album mindestens einen Song ohne Instrumentalbegleitung nur rein stimmlich zu intonieren. Auf „Waiting In The Wings“ muss „Blues Anthem“ dafür herhalten. Im Grunde ein guter Abschluss – nur dass dann der dem Album seinen Namen verleihende Song als offizielles Ende ausgewählt wurde - eine kitschige Ballade mit allerhöchstem Schmalzfaktor und obligatorischem E-Gitarren-Heul-Solo - ist beinahe unverzeihlich. Der deutlich bessere spanische Mix, der unmittelbar als Bonus darauf folgt und souliger klingt, trägt gerade so noch zur Ehrenrettung von „Waiting In The Wings“ bei.
FAZIT: Am Ende dieser knapp 75 Musik-Minuten bleibt die Erkenntnis, dass der wohl beste Song „Make It Fly“ heißt und eine reine Akustiknummer ist, in der Gitarre und Bass im Einklang mit Stimme und Chor stehen und die Richtung anzeigen, die wohl den Solo-Pfaden eines CHRIS FARLOWE am besten zu Gesicht gestanden hätte. Leider wurde genau dieser Weg von ihm nie konsequent eingeschlagen, sondern immer wieder vorrangig auf die ihn begleitenden Musiker und deren stilistische Vielfalt gesetzt, die dazu führte, dass Farlowes Stimme, genauso wie die ihn begleitenden Musiker, am Ende austauschbar wurde. Schade, wie sehr man das auch seinen Solo-Alben anhört.
Punkte: 7/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.07.2013
Boz Burrell, Leo Lyons, Kuma Harada
Chris Farlowe
Micky Moody, Alvin Lee, Albert Lee, Clem Clempson, Geoff Whitehorn, Phil Palmer, Tony Crooks
Tim Hinkley, Andy Nye
Charlie Morgan, Jeff Seopadie
Sam Brown, Irene Chanter, Doreen Chanter (alle Backgrounds)
MIG Music GmbH
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28.06.2013