Dieses Album wurde zum Nova Scotia Female Artist Recording des Jahres 2012 gewählt - eine unklug ersonnene Kategorie, die immer noch Geschlechter trennt in einem Bereich wie Musik, der allumfassend verstanden sein möchte, aber wie dem auch sei: Christina Martin setzt sich als nicht nur rein akustisch angetriebene Frau mit Gitarre mit den großen wie kleinen Lebensfragen auseinander und steht dabei nicht schlecht da ...
... sondern vielmehr in einer recht langen Tradition für Kanada. Der klischeehaften Weite des Landes verleiht die Künstlerin dabei weniger Ausdruck als dem Zeitlosen im Alltäglichen, Zwischenmenschlichkeit allem voran. Dies geschieht mitunter gar recht kraftvoll wie im Seelenstriptease "Sleeping With A Stranger", das sowohl Streicher-Sounds als auch eine stoisch achtelnde Rhythmusgitarre zu Gehör bringt, dann wieder zart in Form der Klavierballade "Away From Me" oder beim Solostück "Painting Blame" einzig mit sechs Saiten zur Auskleidung. Erwartbare Indie-Dünkel, die man im Singer-Songwriter-Bereich der Neuzeit immer leicht vorfindet, erlaubt sich Martin nicht. Stattdessen gemahnt sie beispielsweise mit dem Bläser-Himmel "Falling For You" an den Pop der Sechziger, hält sich gesanglich aber zurück, was ihr ganzheitliches Verständnis von Lied und Text unterstreichen mag.
Am Ende machen vor allem die Brechungen dieses Album aus, sei es im textlichen Bereich oder rein musikalisch in Gestalt der schroffen, dann doch Unendlichkeit versprechenden Klampfen in "Marina" oder bei "Sally" und dem poppigen "What I Always Knew", die beide eine nur leichte Country-Aura umweht. Dabei erhalten bleibt der Klos im Hals, den runterzuschlucken insbesondere der Gospel "Take My Body Home" (hat etwas von Lana Del Rey) kaum möglich macht. Dass man nach dem warmen "Happy" aber dennoch gestärkt aus der Hörsitzung hervorgeht, spricht für Christina Martin und den Geschmack ihrer Landsleute, sie auf ein Podest gehievt zu haben.
FAZIT: "Sleeping With A Stranger" versprüht als weitgefasstes Songwriter-Album Tragik und reicht prompt die Mittel zur Krisenbewältigung nach: Songs mit musikalischer Substanz und inhaltlicher Tiefe, weder lakonisch noch süßlich jubilierend und darob lange genießbar, weil trotz rascher Einfindung zum Arbeiten an sich selbst geeignet ... was bekanntermaßen einen fortschreitenden Prozess darstellt.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.08.2013
Come Undone
37:10
12.07.2013