Wie sehr liebte ich doch in den frühen 80-er Jahren diesen Musiker, der die hohe Kunst beherrschte, Pop-Musik mit Melodien und Texten zu vereinen, die jegliche Peinlichkeit vermieden, aber trotzdem jede kuschelbereite Partnerin bis zum Äußersten gehen ließen.
Schon zu DDR-Zeiten hatte es mir dieser „dekadente Pop-Zeitgenosse aus dem nichtsozialistischen Ausland“, der sein Liedgut dummerweise nicht in deutscher Sprache zum Besten gab und deshalb im Freiluftknast „Made in GDR“ unerwünscht war, angetan. Und so trug ich mich 1980 schon im zarten Alter von 16 Jahren, als ich das erste Mal „Sailing“, „Ride Like The Wind“ und „Never Be The Same“ gehört hatte, mit dem konterrevolutionären Gedanken, einen Sohn zu zeugen, der Christopher heißen sollte. Christopher Koss, das wäre, nicht nur aus musikalischer Sicht, die pure subversive DDR-Provokation gewesen. Zumindest dachte ich das. Allerdings musste ich ein paar Jahre später meine konterrevolutionäre Tätigkeit in eine andere Richtung lenken, da ich an meine biologischen Grenzen stieß, für die diese Scheiß-DDR nun wirklich nichts konnte, und so wurde aus meinem Wunsch-Christopher eine Carolin, die mir jedoch innerhalb kürzester Zeit bewies, wie wundervoll so ein Vaterglück auch ohne einen Christopher sein konnte und dass der Kampf gegen eine üble Diktatur garantiert nicht auf diese Weise sonderliche Wirkung zeigen würde.
Doch nicht nur mir scheint es im Umgang mit der Musik von CHRISTOPHER CROSS so zu gehen – der Mann hinterlässt wirklich jede Menge „Opfer“, die seinen Songs verfallen sind und sehr intensive persönliche Erfahrungen damit verbinden. So schreibt beispielsweise ein Styles More bei youtube unter dem <a href=" http://www.youtube.com/watch?v=VMkIuKXwmlU " rel="nofollow">Sailing-Video</a>, das den noch jungen Cross mit zweihalsiger Gitarre zeigt: „Dieser Song wird bei vielen Menschen ganz unterschiedliche Gefühle auslösen. Ich beispielsweise hörte 'Sailing' das erste Mal 1998, als ich im Knast saß. Doch wenn ich bei dieser Musik meine Augen schloss, dann fühlte ich mich frei. Jetzt, 15 Jahre später, hilft er mir immer wieder dabei, mich aus der Dunkelheit zu befreien und mir den richtigen Weg zu weisen. An mich zu glauben, egal was mir Andere auch weis machen wollen!“
Nun also – 33 Jahre nach seinem ersten Album – gibt es tatsächlich die erste Doppel-CD, kombiniert mit einer DVD, die CHRISTOPHER CROSS live zeigt. „A Night In Paris“, aufgenommen im April 2012, kommt in einem dicken Digi-Pack, samt Booklet mit Konzertfotos, daher und lässt auf den ersten Blick nichts zu wünschen übrig.
Das Konzert selber weist leider einige Reserven auf, obwohl es in ausgezeichneter Klang- und Bildqualität aufgenommen wurde.
Gleich zu Konzertbeginn versucht unser guter Christopher, nachdem er seltsamerweise gleich am Anfang seine Band vorgestellt hat, sein neues Album anzupreisen. Mit dem Erfolg verhaltenen Applauses. Die Zuschauer hoffen offensichtlich auf die „klassischen Pop-Perlen der 80er CROSS-Jahre“. Zwar müssen sie noch etwas warten, selbst wenn die Konzerteröffnung mit „All Right“ auf den ersten Cross-Klassiker von 1979 zurück greift, aber ihr Sehnen wird natürlich erfüllt.
Noch problematischer aber ist, dass der etwas füllige Herr mit Gitarre und Hut sich vorher besser einsingen hätte sollen. Gerade in den ersten Songs klingt seine Stimme nicht immer treffsicher und einige Höhenflüge stürzen regelrecht ab.
Ab dem zweiten Song „The Light Is On“ wird der Gesang von Cross nicht wirklich besser, aber der Techniker legt eine unglaubliche Masse Hall dahinter, sodass jeder noch so „verkackte“ Ton irgendwie ausgeglichen und zu einem kleinen Häufchen minimiert werden kann.
Doch wie durch ein Wunder kommt Cross, der von einer wirklich fantastischen Band begleitet wird, die im Laufe des Konzerts auch die Freiheit für jede Menge solistische Ausflüge erhält, egal ob am Saxofon, dem Schlagzeug oder den Percussion-Instrumenten, immer mehr in Fahrt. Seine Stimme stabilisiert sich und klingt tatsächlich nach dem Musiker vor 33 Jahren. Und wenn er dann den zweiten Teil des Konzerts fast ausschließlich mit seinen Klassikern, beginnend mit „Sailing“ über „Ride Like The Wind“ und „Arthur's Theme“ bis zur Zugabe „Say You'll Be Mine“, durchzieht und alle alten Fans beglückt (Junge sind übrigens kaum zu entdecken!), dann ist die Welt, nach der wir uns beim Klang des Namens C. CROSS so sehr sehnen, wieder heile.
Aber auch eine Besonderheit gibt es auf dieser DVD zu bewundern. „Spinning“, ein Song, der noch nie live aufgeführt wurde, erhält am 2. April 2012 im Le Trianon seine Premiere. Eine Uraufführung, bei der Cross gemeinsam mit seiner Keyboarderin KIKI EBSEN im Duett singt und der mit zu den Höhepunkten dieses Live-Mitschnitts zählt, selbst wenn der singenden Keyboarderin ein paar kleine Schnitzer beim Gesang unterlaufen.
Für mich persönlich wartet das Konzert aber noch mit einer weiteren Erkenntnis auf. Die Faszination dieser Pop-Musik liegt nicht nur in den geschickten Hit-Kompositionen sowie der einprägsamen, zarten Stimme, sondern ganz besonders auch in der Bedeutung des Saxofons für beinahe alle Songs. Was hier ein ANDY SUZUKI live mit seinen verschiedenen Blasinstrumenten leistet, die immer so warm, gefühlvoll und beinahe zärtlich klingen, kann einem nur Hochachtung abverlangen. Musik wie ein Traumtor, bei dem der Schlüssel das Saxofon ist. Ähnliches gilt wohl auch für GERRY RAFFERTYs „Baker Street“.
FAZIT: „A Night In Paris“ ist ein mit 9 HD-Kameras gefilmtes Musikvergnügen, dem die Pop-Magie der 80er Jahre innewohnt. Selbst wenn die neuen Songs bei Weitem nicht die Faszination der alten Stücke vermitteln, gibt es hier ein Konzerterlebnis zu bewundern, das eine ausgezeichnete Band mit einer Pop-Legende harmonisieren lässt, ohne dass sich jemand für wichtiger hält als die Anderen. Cross ist auch live im Jahr 2012 so sympathisch wie es seine Musik weltweit und sogar Mauer-überwindend für viele verliebte Menschen in den 80er Jahren war.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.04.2013
Chazz Frichtel
Christopher Cross
Christopher Cross
Kiki Ebsen, Andy Suzuki
Dave Beyer, Richie Gajate Garcia
Andy Suzuki (Saxofon)
earMUSIC
85:53
08.03.2013