„Mama“, das neue Album der amerikanischen Songwriterin und Multiinstrumentalistin EMILY WELLS erscheint in Europa als Doppel-CD. Beigefügt wurden die „Acoustic Recordings“, die, bei veränderter Reihenfolge, die Songs des bereits sehr ökonomisch instrumentierten Hauptwerks in radikal reduzierten Versionen enthalten. Ein Unterschied besteht: Es fehlt das „Instrumental“, dafür ist exklusiv „Los Angeles“ darauf zu finden.
Aus Versehen mit den „Acoustic Recordings“ begonnen. In einer Welt gelandet, die in Auflösung begriffen ist. Die sparsam eingesetzte Gitarre sorgt für punktuelles Flackern, EMILY WELLS haucht brüchig vor sich hin, fast verloren, zerbrechlich; jede vollendete Liedzeile ist ein mühsam gewonnenes, wertvolles Gut, das man vor dem Absturz ins Nichts bewahrt hat. Im Hintergrund (selten) ein anerkennend raunender, kleiner Chor. Oden an die Vergänglichkeit, Flüchtigkeit; Abschiede, die im Verborgenen stattfinden. WELLS zelebriert nicht (nur) Musik, sondern einzelne Töne. Man möchte die Musikerin in den Arm nehmen und beschützen vor dem Unbill der Welt, und merkt doch genau, dass sie das gar nicht nötig hat.
Denn bei all dieser Fragilität, dem Schwebezustand zwischen Trauer, Einsamkeit, Verzweiflung und vorsichtiger Hoffnung, ruhen die so herzzerreißenden wie luftigen Songs keineswegs auf tönernen Füßen, sondern auf einem festen Fundament. Gebaut von einer Musikerin, die genau weiß, was sie tut. Ob europäische „Bon jour Tristesse“, Annäherung an den Blues („Johnny Cash's Mama's House“; “Mama's Gonna Give You Love”, neben “Passenger”, der heimliche Hit der Alben), Flirten mit Country, bis hin zum Traditional („Darlin‘, gemeint ist natürlich „Clementine“). WELLS bewegt sich langsam tastend, aber mit unheimlicher Sicherheit in ihrem Reich der selbstbestimmten Reduktion.
Die vom eigentlichen Album aufgebrochen wird, ohne den asketischen Charakter der Songs zu zerstören. Dezent eingesetzte Streichinstrumente, ein Harmonium, Samples, rumpelige Rhythmen erweitern den intimen Sound um Nuancen, belegen fast im Vorübergehen, wie viel Kraft in den fragilen Stücken steckt. Kammermusik, die auch in EMINEMs Lieblingsbar gespielt werden könnte („Mama’s Gonna Give You Love“ – das hatten wir doch schon mal).
„Mama“ ist wie ein gehaltenes Versprechen; nicht das alles besser wird, sondern dass es irgendwie gelingen wird, die Nacht durchzustehen, selbst im vergeblichsten Bemühen (schöne Grüße an James Sallis). Ist verdammt dunkel hier drinnen und macht das Leben garantiert nicht einfacher. Trotzdem fühlt es sich irgendwie besser an. Einen Hauch nur, aber einen der es in sich hat.
„Darkest summer and my losing love, Tell your little baby 'it'll be alright'“. EMILY WELLS hat einen sehr düsteren Humor.
FAZIT: Keine Musik für den schnellen Verzehr, kein leichter Happen für zwischendurch. EMILY WELLS Songs sind von einer Intensität, die wehtun kann. Sie ist keine großartige Chanteuse, deren Stimmumfang dich erschaudern lässt. WELLS gibt eher das scheinbar verträumte Kind, das verletzlich in einer der hinteren Schulbänke sitzt, doch mit einem hingehauchten Satz ganze Lehranstalten aus den Angeln heben kann. Eine Meisterin der Spannungserzeugung durch (kalkulierte?) Zurückhaltung, eine Zauberin der großen Kunst, Komplexes ganz einfach erscheinen zu lassen. Back to the Basics auf höchst eindringliche Weise.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.06.2013
Emily Wells
Emily Wells
Emily Wells
Partisan Records/Rough Trade
CD 1: 41:18/CD 2: 40:47
31.05.2013