Wie jedes Jahr bettelt der gemeine Deutsche monatelang, die Sonne möge doch mal bitte herauskommen. Wird sein inniger Wunsch schließlich erfüllt, so macht sich sein fehlendes Langzeitgedächtnis schmerzhaft bemerkbar: Er fängt wie jedes Jahr tatsächlich an zu meckern, es sei zu heiß.
In diese Versuchung gerät zumindest der FILTER-Käufer nicht, denn „zu heiß“ mag vom Wetter bis zur Schnecke von der anderen Straßenseite für die eigene Bermudahose so manches sein, mit Sicherheit jedoch gehört „The Sun Comes Out Tonight“ nicht dazu. Dabei sprossen die Lippenbekenntnisse im Vorfeld: Neue Härte, klingt wie zwei Alben gleichzeitig, lohnen solle sich der Filtereinbau in die heimische Stereoanlage wieder.
Jedoch kommen bei Richard Patricks sechster Projektarbeit auf jeden Schritt gen Horizont gleich zwei in den Rückspiegel. Die Anbiederung an das Songwriting von „Short Bus“ und „Title Of Record“ nimmt unverhohlene Züge an: runtergetunte Gitarren und Screams ohne Ende machen den großen Macker und schlagen Kontraste zu Akustikballaden, in denen Patricks zartes Stimmchen Gänseblümchen pflanzt, simple Akkordfolgen erleichtern indes das Headbangen und unheilvolle Basslinien, die alsbald von Metalriffs und einer eindringlichen Refrainzeile getuscht werden, beglückwünschen den Schützen unmissverständlich zu einem hervorragenden Schuss („Take That Knife Out Of My Back“). Zum Abschied nicht nur EINE Kitschnummer, die Patricks fragiles Organ mit Elton-John-Flügel vor aller Augen vermählt, nein, es folgt noch eine völlig unnötige zweite Happytime mit Kopfstimme, und FILTER entlassen mit fröhlichen Backenbarthäschen auf saftigen Wiesen in den Nachhall.
Freilich würde das alleine den interessierten Erwerber nicht abschrecken, schließlich gelten die Modelle aus den 90ern als klassisch und gut. Nur Idioten schrauben an bewährten Formeln herum, beteuert der Experte, und wenn man sich gerade diese Modelle zum Beispiel nimmt, kann das so falsch nicht sein.
Kommen wir aber zurück zu dem Punkt, an dem davon die Rede war, dass hier zwei Alben übereinander liegen: Das zweite ist nämlich muffige Popsülze und pulverisiert den vermeintlichen Vorteil der neuen Härte aus dem Stand. Was bringen mir Gitarren mit Vitamin-C-Drops, wenn ich dafür kitschige Hintergründe („Surprise“, „First You Break It“) und aus dem Ruder laufendes Autotuning („The Sun Comes Out Tonight“) in Kauf nehmen muss? Die Kanten werden automatisch egalisiert und kommen wie bei der Streichung aus einer mathematischen Gleichung schlichtweg nicht mehr zum Tragen. „Short Bus“? You Wish!
Das Resultat: D-Zug von einem Ohr ins andere. Hängen bleibt allenfalls das Phantombild einer Lieferung Heavyness für den Popstars-Einschalter. Das gefühlt öfter gescholtene „The Trouble With Angels“ hatte mehr Drive, Pep, Kreativität. Die Entwicklung zu „The Sun Comes Out Tonight“ macht in diesem Kontext auch gar keinen Sinn: Warum gerade jetzt den Spagat versuchen, die Bandklassiker in ein möglichst modernes Soundgewand (gemessen an der üblichen Chartsmusik) zu packen? Wie eine Vollbremsung mitten in der Anfahrt über eine Klippe wirkt all das, als wolle man das Risiko nicht eingehen, vor der Klippe nicht genug Drive zu entwickeln, um den Flug zu schaffen, doch zum Bremsen ist es auch schon zu spät…
FAZIT: Ein, zwei gute Songs hat „The Sun Comes Out Tonight“ zu bieten, meist aus der Sparte „besser gut bei sich selbst geklaut als das Hirn zermartert“, insgesamt vereint die sechste FILTER aber zu sehr das Schlechteste aus beiden Welten: Die Regressivität alter Lorbeeren und die Inhaltslosigkeit moderner Pop-Art. Man darf hier nicht mit dem großen Besen kehren und das alles mit klassischen FILTER-Tugenden entschuldigen; Patricks Garde war in anderen Inkarnationen wesentlich inspirierter. Positiv ist zu werten, dass es beim siebten Album immerhin wieder ganz anders aussehen kann.
Punkte: 5/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.06.2013
Phil Buckman
Richard Patrick
Richard Patrick, Jonathan Radtke
Jeff Friedl, Elias Mallin
Wind-Up Records / Universal Music
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31.05.2013