Auf seinem sage und schreibe 20. Album macht Elektropop-Pionier Gary Numan, was er am besten kann: ein dutzendmal vor retrospektiver, aber nicht altbacken anmutender Klangkulisse ins Ohr wurmen, gerne aber auch auf Umwegen.
"Splinter" ist zwar durchaus leicht zugänglich, wird aber durch eine Vielschichtigkeit, die sich mit jedem Hördurchlauf deutlicher offenbart, gewissermaßen zeitlos, soweit man dies so unmittelbar nach der Entstehung prognostizieren darf. Im Kern stehen schlichte Melodien mit Langzeitwirkung und die unverkennbar kieksende (vermutlich wie von jeher kräftig per Software manipulierte) Stimme des Künstlers. Dass sich die Kompositionen somit stark ähneln, liegt in der Natur der Sache, aber Numan geizt nicht mit minimalen Wagnissen, die in ihrer Subtilität niemanden verprellen und zugleich der Langeweile vorbeugen.
Das sehnsüchtige "I Am Dust" ist ebenso wie das stimmungstechnisch ähnliche Titelstück und "We're Unforgiven" programmatisch hittig, doch hier wie in nahezu allen übrigen Stücken flechten die Produzenten Bridges und kurze Zwischenteile ein, welche das allzu Offensichtliche aufbrechen. "The Calling" wurde zudem orchestral aufgebauscht und stellt damit den Gegenpol zu harten wie düsteren Fegern wie "Love Hurt Bleed", "Who Are You" oder "Here In The Black" beziehungsweise sehr licht arrangierten Tracks ("Lost", "Where I Can Never Be" - beides eher Intros oder Interludien - und der Abschluss "My Last Day") dar.
Die lakonische Atmosphäre von "Everything Comes Down To This" und dem stolpernden "A Shadow Falls On Me" spinnt indes den roten Faden von "Splinter", das den Spagat zwischen den Achtzigern und der Neuzeit gar nicht vollziehen möchte oder muss. Gary Numan ist eine Marke für sich, und mit diesem Album kauft man eben sowohl einen Namen als auch ein Stück besserer Popmusik, deren gewollt roboterhaftes Flair heutzutage richtiggehend anheimelnd wirkt.
FAZIT: "Splinter" zeigt einen Künstler, der nichts verlernt hat, mit allem Für und Wieder, denn Gary Numans Organ muss ebenso gefallen wie sein Hang zu Bombast einer- sowie störrischem Dancefloor andererseits. Auch wenn wieder kein zweites "Cars" dabei ist, sei diese Scheibe alle jenen ans Herz gelegt, die ihre Klangsynthetik nicht abstoßend kalt, sondern nahbar und unaffektiert mögen.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.10.2013
Gary Numan
Mortal Records
54:41
11.10.2013