Für das Review des HARPYIE-Debüts "Blindflug" gab es einen ordentlichen Shitstorm. Nicht nur hier in den Kommentaren, sondern auch bei Facebook. Unter anderem wurde dem Rezensenten von einem Mitglied der Band geschäftsschädigendes Verhalten vorgeworfen - souveräner Umgang mit Kritik sieht wohl anders aus. Nun liegt das zweite Album der Mittelalter Metaller aus dem ostwestfälischen Bad Oeynhausen vor und man darf gespannt sein, wie die Reaktionen auf die Besprechung dieses Mal ausfallen.
Der vermeintliche Schaden, den die Negativkritik am Debüt verursacht hat, kann jedenfalls nicht allzu groß gewesen sein, immerhin spielten HARPYIE 2012 auf dem Wave-Gotik-Trefffen in Leipzig und in diesem Jahr sogar auf der Mittelalterbühne des Wacken Open Airs - in der entsprechenden Szene scheint die Band also gut anzukommen. Was natürlich noch nichts über die Qualität des neuen Albums aussagt. Man kann aber vorweg nehmen, dass sich HARPYIE im Vergleich zum Debüt klar verbessert haben, von der Speerspitze des Genres aber immer noch ein ganzes Stück weit entfernt sind.
Musste man beim Debüt noch die Einfallslosigkeit der Gitarrenarbeit bemängeln, sind hier deutliche Fortschritte auszumachen, die zudem dafür sorgen, dass HARPYIE den Faktor Eigenständigkeit erhöht haben. Nicht wenige der Riffs sind vom modernen Metal beeinflusst, die Gitarren sind tief gestimmt und erhöhen den Härtegrad. Manch ein Riff könnte auch auf einem IN FLAMES-Album Verwendung finden, darüber hinaus macht man gar dezente Metalcore-Anleihen aus, wenn Gangshouts und Screams ertönen oder man entsprechende Grooves verwendet. Die Kombination dieser Elemente mit dem klassischen Mittelalter-Instrumentarium (Dudelsäcke, Flöten, Geige) hat man so bislang eher selten gehört und so klingen HARPYIE durchaus innovativ. Das bringt allerdings auch kleinere Probleme mit sich, die im Sound begründet liegen. Der ist ein bisschen übertrieben fett geraten und besonders die Drums klingen ab und zu schmerzhaft künstlich, das ist mitunter ein zu harter Kontrast zu den Mittelalter-Instrumenten, die ja naturgemäß... äh... natürlicher klingen. Auch sind so manch ein Keyboardeinsatz sowie die zwischendurch mal auf die Gitarren gelegten Effekte ein bisschen zu viel des Guten.
Hatte man beim Debüt noch Schwierigkeiten, gute Songs auszumachen, sieht es auf dem neuen Album auch dahingehend besser aus. Die Songs sind über weite Strecken eingängig und ordentlich arrangiert. Trotz des leicht pathetischen Textes ist "Blutsbrüder" ein ebenso gelungener Song wie das mit schöner Melodie und Akustikgitarren versehene "Diese eine Nacht". "Antarktika" und "Jericho" haben als härtere Songs einen guten Flow, während die orientalischen Elemente in "Samson und Delilah" gut zum Songthema passend. Auch das markante "Anne Marie" ist ein Song, an dem Genrefans Freude haben werden. Warum man sich in "Sturmvögel" jedoch zu offensichtlich am bekannten Schrei-Thema von SUBWAY TO SALLY orientiert, muss man nicht verstehen.
Womit wir bei einem von zwei Hauptkritikpunkten angekommen wären. Das eine ist der Gesang, der noch immer einen Schwachpunkt darstellt. Zwar agiert Aiello die Windböe grundsätzlich sicherer, als auf dem Debüt, aber seine nicht allzu kräftige Stimme, die manchmal an die von Peter Brugger von SPORTFREUNDE STILLE erinnert, bekommt in höheren Passagen Schwierigkeiten. Auch muss er gegen den vergleichsweise harten Grundsound ansingen, was nicht immer klappt. Hier fehlt es einfach noch an Volumen und Power. Was jedoch noch schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass HARPYIE noch immer kein schöner, spielerischer Umgang mit der deutschen Sprache gelingt. Zwar bleiben weitere alberne Kalauer auf FEUERSCHWANZ-Nichtniveau wie in "Der letzte Held" (bei dem der Hauptmann der erwähnten Blödeltruppe mitwirkt) im weiteren Verlauf des Albums zum Glück aus, aber zu oft sind die Reime noch immer flach und erzwungen. Hier haben HARYPIE noch viel Verbesserungsbedarf, besonders im Vergleich zu den Großen des Genres.
FAZIT: "Willkommen im Licht" zeigt HARPYIE in vielen, aber nicht allen Bereichen verbessert. Fans der Band werden natürlich von einem großartigen Album sprechen, bei objektiver Betrachtung macht man aber noch immer viele Punkte aus, die nicht wirklich zufrieden stellen. Andere Bands des Genres haben aber auch klein angefangen und wurden wie SALTATIO MORTIS anfangs nicht nur belächelt, sondern gerne auch mal verlacht. Dieses Stadium haben HARPYIE aber hinter sich gelassen und wenn es in Zukunft gelingt, sich stetig zu verbessern, sind bestimmt auch mal mehr als neun Punkte drin.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.10.2013
Gyronimus der Basstard
Aello die Windböe
Podargo der Schnellfliegende, Garik Sturmbringer
Kelaino der Dunkle
Mechthild Hexengeige (Geige), Michael von Ullrichstein (Dudelsäcke), Garik Sturmbringer (Dudelsäcke, Flöten)
Metalville/Rough Trade
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11.10.2013