Noch einmal progressiver Rock aus Italien ... doch diese Vertreter emulieren die Vorbilder im eigenen Land weniger offensichtlich als manche ihrer emporkommenden Nachbarn. IL TEMPIO DELLE CLESSIDREs zweites Album besitzt eine entschiedene Weltmusik- beziehungsweise Soundtrack-Note, ist lyrisch wie kraftvoll zugleich und klingt dennoch wie aus einem Guss.
"Kaze" fungiert als langes, dramatisches Intro mit Keyboard-Flöten und -Flächen, Stimm-Samples und zuletzt krachender Gitarre, die dann in "Senza Colori", einem dem Titel zum Trotz ungleich bunten Stück, die Führung (Leads) übernimmt. Dass die Musiker zuvor mit MUSEO ROSENBACHS Sänger Lupo gearbeitet und dessen Vermächtnis auf die Bühne gebracht haben, hört man am stark bildhaften Stil der Band, wenn Francesco Ciapica gerade nicht singt. Die oftmals langen Stücke lassen sein Organ aber nicht unerheblich wirken, denn insbesondere während des Mellotron-Schmachters "Il Passo" und der Ballade "Fino Alla Vetta" sind alle Komponenten auf seine Stimme sowie eine liedhafte Struktur ausgerichtet.
"Onirica Possessione" ist mit knapp zehn Minuten das erste Epos und unterliegt einer deutlichen Teilung in pittoreske Einleitung, düsteren Mittelteil und gelösten Schluss, doch erst das letzte Stück "Il Cacciatore", eine Viertelstunde zwischen Symphonie und gefühlvollem Fusion Rock, weist explizite Segmente auf. Der Frontmann erweist sich mit zunehmender Spielzeit als Ausbund an Expressivität mit narrativem Duktus wie Schreien wie jenen des jungen Ian Gillan. Die flirrenden Synthesizer und Samples verstören den Rezipienten bei entsprechender Stimmung zutiefst, weshalb das kurze Klavierstück "Notturna" mit Elisa Montaldo am Mikrofon zur Auflockerung vor dem letzten Anlauf gelegen kommt. Packende Scheibe, das.
FAZIT: Statt selbstgefällig die Meriten ihrer Vorgänger auskosten zu wollen, bemühen sich IL TEMPIO DELLE CLESSIDRE um einen eigenen Entwurf von Progressive Rock, dem man seine Herkunft zwar noch anhört, aber nicht zur einzigen Rechtfertigung seines Daseins auslegen muss. "alieNatura" ist seinem Titel gemäß oftmals unbequem anders und versöhnt am Ende doch jeden Fan der Stilistik mit seinen Erzeugern, einer hoffnungsfrohen Band durch und durch.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.10.2013
Fabio Gremo
Elisa Montaldo
Giulio Canepa
Francesco Ciapica, Elisa Montaldo
Paolo Tixi
Black Widow
56:30
29.08.2013