Unter all den schwedischen Retro-Heavy-Metal-Bands nehmen IN SOLITUDE seit jeher eine Sonderstellung ein. Das wurde schon deutlich, als man sie zum ersten Mal live gesehen hat. Im Oktober 2009 spielte man im Helvete in Oberhausen gemeinsam mit HELVETETS PORT und RAM. Während erstere für eine gewisse NWOBHM-Schrulligkeit standen, boten RAM Heavy Metal mit männlichen Posen. Dazwischen stachen IN SOLITUDE mit ihrer Düsternis und der dadurch erzeugten Atmosphäre aber heraus. Diese Düsternis fand sich im ersten, selbstbetitelten Album genauso wieder, wie die Verwandschaft zur Musik von MERCYFUL FATE und KING DIAMOND. Auf dem zweiten Album "The World. The Flesh. The Devil." wurde der Stil weiterentwickelt, IN SOLITUDE gewannen an Eigenständigkeit hinzu und machten besonders in Sachen Songwriting riesige Fortschritte. Die damals vergebenen zwölf Punkte waren im Nachhinein einer zu wenig. Nun legt man mit "Sister" das dritte Album vor und vollzieht darauf zur großen Überraschung so etwas wie eine Rolle rückwärts.
So geht man vor allem in Sachen Sound und Musik eine Dekade zurück in die 70er. Die Angelegenheit klingt deutlich weniger nach traditionellem Heavy Metal, sondern viel rockiger als vorher. Angereichert wird dies um - und das ist wirklich unerwartet - einen latenten 80er-Gothic-Rock-Touch. Das mag den einen oder anderen zunächst verschrecken, man sollte aber bedenken, dass die entsprechenden britischen und auch amerikanischen Bands dieser Zeit nichts mit dem zu tun haben, was man heutzutage unter dem schwammigen Begriff "Gothic" versteht. Dass selbst eine Band wie WATAIN diese Musik zitiert, spricht für sich. Aus diesen Zutaten kochen sich IN SOLITUDE nun also ihr eigenes Süppchen und klingen dadurch ziemlich unvergleichlich - jedenfalls fällt einem keine Band ein, die so oder ähnlich klingt. Die Schweden haben sich also freigeschwommen, haben ihren eigenen Stil kultiviert und sind doch unverkennbar - wegen der Atmosphäre und vor allem der markanten Stimme von Frontmann Pelle Åhman. Der wiederum hat stimmlich einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht, denn so ausdrucksstark, so kraftvoll und so einnehmend wie auf "Sister" klang er bislang noch nicht.
Wenn man sich "Sister" zum ersten Mal anhört, fallen zudem zwei Dinge auf. Zum einen der ungewöhnliche Sound, für den sich Produzent und Mischer Martin "Konie" Ehrencrona verantwortlich zeigt. Sehr basisch, sehr natürlich und den Instrumenten viel Raum gebend, klingt "Sister" insgesamt auch weniger metallisch, sondern viel stärker nach den 70ern. Das fällt besonders in den Leadgitarren immer wieder sehr deutlich auf. Zum anderen stellt man fest, dass IN SOLITUDE die Eingängigkeit des Vorgängers deutlich reduziert haben. Auf sich sofort einprägende Refrains verzichtet man nahezu komplett und auch die Songstrukturen selber sind viel weniger klassischen Schemata folgend. Aber auch davon sollte man sich keineswegs abschrecken lassen, denn "Sister" hat ein Wachstumspotenzial, das nur wenige Alben aufweisen.
Sanfte Gitarren spielen im Opener "He Comes" eine betörende Melodie, die sofort alle Nackenhaare sich aufrichten lässt. Der Introsong wird nur von akustischen Gitarren, dezenter Perkussion und Åhmans entrückter Stimme intoniert und kreiert sofort eine herrlich beklemmende Stimmung. Mit dem Quietschen der elektrischen Gitarre geht es in das flotte "Death Knows Where" über, angetrieben von einem melodischen Riff. Im kurzen Refrain zieht Åhman die Zeilen in hymnische Breite. Ein zum Sterben schönes Solo veredelt den Song. Das schleppende "A Buried Sun" übertrifft dies nochmal, besonders weil wiederum Åhman hier eine Gesangsleistung hinlegt, die dermaßen unter die Haut geht. Klar, dafür muss man schon diese gewisse Gothic-Dramatik mögen, dann aber ist es der schiere Wahn. Auch in diesem Stück begeistern die melodischen Gitarren - und natürlich die Atmosphäre. "Sister" entfacht mit jeder Minute, die es länger läuft, nicht nur düstere Stimmung, sondern auch eine gewisse rauchige, mitunter spirituelle Laszivität - genau das dürfte ein Ziel sein, dass die Band verfolgt.
"Pallid Hands" startet wie ein reinrassiger Gothic-Rocker der 80er und entwickelt sich zu einem der Ohrwürmer des Albums. Ja, die gibt es nämlich doch, sie brauchen nur länger zum Wachsen. Der 7''-Track "Lavender" geht wiederum in die 70er zurück, verhaltnismäßig aggressiver Gesang und der treibende Rhythmus werden das Stück zu einem Konzerthighlight machen. Auch hier gilt, dass die Melodien sich im Laufe der Zeit tief einprägen. Und wo wir gerade beim Rhythmus sind: beim Titeltrack kann einen schon mal das Bedürfnis überkommen, sich nackt auszuziehen und beseelt umherzutanzen. Das letzte Mal, dass Musik eine ähnliche Wirkung hatte, war, als die "Come, Reap"-EP von THE DEVIL'S BLOOD ihre Runden drehte. Trotz des peitschenden Tempos bleibt "Horses In The Ground" der unauffälligste Song eines Albums, auf dem im Vergleich zu dem, was man sonst so zu hören bekommt, eigentlich alles auffällig ist. Den Abschluss macht "Inmost Nigredo", das mit acht Minuten der längste Song und auch der psychedelischste ist. Auch hier packen einen die Gitarren sofort, wenngleich der Song ob seiner anfänglichen Sperrigkeit seine Zeit braucht.
FAZIT: Wenn Erik Danielsson von WATAIN nicht müde wird, IN SOLITUDE in so ziemlich jedem Interview als eine der spannendsten Bands der Gegenwart zu benennen, dann tut er das mit Recht. "Sister" hebt die Band auf ein neues Niveau, ist klar der bisherige Höhepunkt im Schaffen der Schweden und klarer Kandidat auf die Jahres-Top 5 des Schreibers dieser Zeilen. Man muss sich allerdings auf die stilistische Neuausrichtung einlassen können - dann aber entfaltet sich "Sister" zu einer selten gesehenen bzw. gehörten Blüte.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.09.2013
Gottfrid Åhman
Pelle Åhman
Niklas Lindström, Henrik Palm
Uno Bruniusson
Metal Blade/Sony
46:03
27.09.2013