Der Begriff „CanAmericana“ fällt ziemlich schnell, wenn JENN GRANTs Musik stilistisch zugeordnet werden soll. Der geneigte, aber unbedarfte Hörer stutzt: Was soll da bedeuten? „Amricana“ aus der Dose oder beeinflusst von den deutschen Krautrockpionieren? Eher nicht. Nachgedacht, besser gemacht: „Canadian Americana“ – wie wäre es damit? Ist zwar hingestoppelt und vermutlich gerade deshalb wahr: Eine kanadische Variante jener Musik, die zwischen Folk, Rock und Country angesiedelt ist, gerne staubtrocken wie die Sierra Nevada, geprägt vom Pioniergeist und Streben nach einer Heimat, die das sterbende Herz gern an der Biegung des Flusses verortet. Godfather des CanAmericana ist natürlich NEIL YOUNG, der verflucht stolz auf JENN GRANT sein kann, die keineswegs in seine bloßen Fußstapfen tritt, sondern ihren eigenen Weg geht.
„Portraits“ ist ein Album mit Gefühl. Nicht jenem billigen, plakativen, das sich zwischen zwei Stoßseufzern MARIJAH CAREYs öffnet wie der Schlund des Leviathan, sondern jenes, zu dem man hinschmilzt, das einen ergreift, weil es sich so verdammt echt anfühlt. GRANT kann nur mit ihrer Gitarre, Ukulele, was auch immer, allein aufspielen und hat nie den Touch einer verzweifelten Sozialpädogin auf der Suche nach dem Sinn des Lebens; sie kann aber auch mit Kinderchor und orchestraler Unterstützung, und es riecht nicht nach Musical und „gib der pyknischen Annie ihren Lolly zurück, sie hat schließlich sonst nichts, woran sie sich festhalten kann“.
Stattdessen beginnt es geradezu beatlesque im Orchestergraben, bevor Mr. Kite (James Cunningham) „The Beautiful Wild“ ankündigt. Passend heißt der Opener „The Fighter“. Mit Pedal Steel, Marching Band auf dem Weg zur „Queen of Azaleas“. Und dazu diese Stimme: Dunkles Timbre, sehnsuchtsvoll, mit jenem Kiekser am Ende der gesungenen Zeilen, der einer unbegabteren Interpretin den Garaus gemacht hätte, JENN GRANT aber so verschmitzt wie innig erstrahlen lässt.
GRANT und ihre zahlreichen Mitstreiter bewegen sich nahezu schlafwandlerisch über einen ganz eigenen Boulevard der zerbrochenen Träume. Gitarre, Harfe, Klavier, bis hin zur Sitar („Gone, Baby Gone“ mit Weltmusik-Flair), gerne begleitet von konterkarierenden Marschrhythmen und fideler Bläsersektion; filigrane Traummusik, die selten mal härtere Töne anschlägt („White Dove“). Die Wiedergeburt von TOM WAITS als Homecoming Queen.
Der Bonus zum krönenden Abschluss ist eine Coverversion, die ihren Namen wirklich verdient. SURVIVOR ziemlich ausgelutschte Hymne „Eye Of A Tiger“ wird unter JENN GRANTs stilvoller Bearbeitung zur atemberaubenden, nachdenklichen Pianoballade und offenbart so das (ungeahnte) tiefgründige Potenzial der ehemaligen „Rocky“-Kampfansage. Ohne Übertreibung: Große Kunst!
„The Beautiful Wild“ ist ein atmosphärisch stimmiges kleines Wunderwerk. Die schwächeren Stücke sind immer noch sehr gut und die sehr guten entzünden Kerzen in den kleinen Kathedralen, die wir Herzen nennen.
FAZIT: Das Jahr fängt gut an! Und Blue Rose beweisen Geschick und Geschmack mit der Veröffentlichung von „The Beuatiful Wild“, dem bereits fünften Album der Kanadierin JENN GRANT. Eine abwechslungsreiche Mischung aus Folk, Country, Pop und Rock, die nie ins Beliebige abrutscht; so zart wie zupackend. Mitten hinein ins Auge des Tigers!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.01.2013
Tavo Diez de Bonilla
Jenn Grant, Erin Costello, Rose Cousin, Tanya Davis, Halifax Boys' Honour Choir, Heather E. Grant, Gail MacIsaac, Saddle River String Band, Tara Thorne
Jenn Grant, Aaron Goldstein, Daniel Ledwell
Jenn Grant, Erin Costello, Daniel Ledwell
Michael Beleya
David Christensen, Tara Costello, Kinley Dowling, Ellen Kipling, Daniel Ledwell, Old Man Luedecke, Patrick Ledwell, Jason Michael MacIsaac, Michael Ritchie
Blue Rose Records/Soulfood
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01.02.2013