Hätten die Initiatoren dessen, was heute als Blues bezeichnet wird, je damit gerechnet, dass ihr dem Drangsal der Unterdrückten erwachsenes Lamento einmal in der angepassten Hochkultur ankommt, zumal gespielt von einem Weißen? Nun gut, heben wir keine Schützengräben aus, die längst zugeschüttet wurden, und widmen uns einem weiteren auf Tonträger beziehungsweise DVD und Blu-ray gepressten Superlativ aus dem gemeinsamen Hause Shirley-Bonamassa.
In der geschichtsträchtigen Wiener Oper gaben sich internationale Musiker zur Unterstützung des ewigen Blues-Wunderkinds ein Stelldichein. Das New-Age-Intro "Arrival" lässt Befürchtungen aufkommen, die sich fortan zum Glück nicht bestätigen: "An Acoustic Evening" bleibt bei allem Zierrat weitgehend ein solcher und artet mitnichten zu einer glatten Inszenierung schlicht anders beziehungsweise sachter arrangierter Bekanntheiten aus. Besteht die erste CD aus einem Querschnitt von Bonamassas bisherigem Schaffen mit Konzentration auf Publikums-Lieblinge (das kaum wiederzuerkennende "Slow Train", "Dust Bowl" mit einem Himmel voller Geigen und anderer nicht alltäglicher Saiteninstrumente) eingedenk der John-Martyn-Nummer "Jelly Roll" mit dazu passendem Dobro-Einsatz, entdeckt man während der zweiten Hälfte des Abends mehr oder weniger Überraschendes und Neuinterpretationen von Charlie Patton (ein reduziertes "High Water Everywhere" von "You & Me") oder - besonders toll - Tom Waits, dessen torkelndes "Jockey Full of Bourbon" sich zur Aufführung in diesem Kontext aufdrängt, obwohl Bonamassa gesanglich nicht an den Maestro heranreicht.
Dass Robert Johnsons "Stones in My Passway" vom jüngsten Streich "Driving Towards The Daylight" stammt, verschmerzt man angesichts der fantastischen Chris-Whitley-Nummer "Ball Peen Hammer" (mit Streicher-Drones) von "Sloe Gin", dessen Titelsong wie die Studiofassung auch hier zu den Höhepunkten gehört. Es handelt sich vielleicht um das stärkste Album des Gitarristen, weshalb auch das davon stammende Cover "Seagull" von BAD COMPANY naheliegt. Mehr Mut zum Risiko hat Bonamassa zumindest mit der Umgestaltung der Stücke bewiesen, und das Zusammenwirken mit dem Publikum beschränkt sich auf euphorischen Jubel zwischendurch; im Zweifelsfall kauft man aber ohnehin die audiovisuelle Fassung dieses Mitschnitts, den man nicht nur als Fan des Musikers gehört haben, sondern auch unter Alltagsdruck leidend zum Herzerwärmen kennen sollte.
FAZIT: Falls Joe Bonamassa hierfür BLACK COUNTRY COMMUNION sausen ließ, kann man vielleicht damit rechnen, dass er sich in Zukunft weiter auf folkloristisches Terrain begibt. In Anbetracht seiner eher durchwachsen mainstreamigen jüngsten Veröffentlichungen wäre dies nicht das Schlechteste, denn "An Acoustic Evening" ist stimmungsvolles, oft ergreifendes Theater in Bausch und Bogen, auch wenn die Stimmen nie schweigen werden, die den Künstler und seinen Produzenten ob ihrer starken Präsenz verteufeln.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.03.2013
Joe Bonamassa
Arlan Schierbaum
Gerry O'Connor (Geige), Mats Wester (Nyckelharpa), Lenny Castro (Percussion)
Mascot / Provogue
51:41 + 60:23
22.03.2013