Pragmatischer haben’s EMERSON, LAKE & PALMER mit der Namensgebung auch nicht hinbekommen. LEVIN, MINNEMANN und RUDESS finden sich zum einstweiligen Musizieren zusammen und erwecken dabei den Anschein, die Zusammenkunft sei aus einem magnetischen Impuls heraus entstanden, der jederzeit implodieren könnte und seine Teilnehmer wieder in neue Herausforderungen entlassen würde. Das Provisorische ist ein charakterstarker Begleiter dieser Produktion: Vom banalen, an eine Tabelle für chemische Verbindungen erinnernden CD-Cover bis zum marktschreierischen Hinweis „14 Tracks!“ auf der CD selbst ist hier nichts in Stein gemeißelt. Die Bleistiftskizze der äußeren Präsentation gibt vor allem ein Versprechen: Kopfglühenden Jam- und Improvisationsrock als saftige Ausdrucksform geistiger Entfesslungskunst.
Minne ist ohnehin der -Mann der Stunde: Seine einstige „Niederlage“ gegen Mike Mangini im Kampf um den Drummerposten bei DREAM THEATER wird seither fast überall als künstlerischer Erfolg gewertet. Er war an einer der Sternstunden im Schaffen von STEVEN WILSON entscheidend beteiligt und auch sonst recht umtriebig mit stets ungemein leichtfüßig wirkenden Veröffentlichungen, ob mit den ARISTOCRATS oder solo. Nun hat es ihn in Sachen DREAM THEATER zumindest mit Fantasia-Besenstiel- und Tastenschwinger Jordan Rudess zusammengeführt. Hinzu gesellt sich Stick-Star Tony Levin, der neben dem Bass sein STICKMEN-Hauptinstrument in die Runde bringt.
Das Resultat klingt ziemlich genau so, wie man es von einer solchen Kombination erwarten würde, insbesondere wenn man einige frühere Aktivitäten der Mitglieder verfolgt hat. Vor allem ist es die Levin’sche Erfahrung beim LIQUID TENSION EXPERIMENT und natürlich beim Vorgänger LEVIN TORN WHITE, die sich problemlos mit Minnemanns Flockigkeit verbindet. Rudess muss da bloß noch die Fugen des Hexenhauses mit Keyboard-Kandis abdichten. Nur in wenigen Stücken führt ihn der Wahn seiner „Wizardry“ in altbekannter Weise in die Übertreibung; oft aber fügt er sich trotz vogelfreier Auswahl seiner Sounds (von der Reggae-Insel bis zur Weltraumstation werden viele Orte besucht) recht homogen in die seitens Schlagzeug, Gitarre, Bass und Chapman Stick gesetzten Vorgaben. Das mag auch an der Verwendung von Continuum und Seaboard liegen, die beide für einen organischen, fließenden Klang sorgen.
Ein Jam mit derartigen Voraussetzungen kann natürlich nicht den zielstrebigen Charakter eines festen Bandgefüges erzielen, was bedeutet, dass Levin, Minnemann und Rudess nicht zu einem festen Brei zerkochen, sondern als Einzelfiguren stets herauszuschmecken sind. Dass das immerhin 64-minütige Album bei aller Unverbindlichkeit trotzdem nicht zu zusammenhanglosem Stückwerk verkommt, mag auch an der unerwartet kräftigen Ausrichtung liegen, die vor allem von Levins Stick und Minnemanns Gitarre ausgeht. Jawoll, Minnemann bearbeitet auch die Saiten. Ohne den Anspruch an Lässigkeit aufzugeben, bretzeln einige Stücke mitunter mächtig los; bei den ARISTOCRATS etwa hat es das in der Form nie gegeben. „Ignorant Elephant“ ist so ein Beispiel; ein Stück, das mit etwas mehr Fokus auf virtuose Soli auch für einen Gitarrenhelden hätte geschrieben werden können, in dem aber auch das Basstapping kräftig knackt und poltert. Eigentlich macht schon der Auftakt („Marcopolis“ – „Twitch“ – „Frumious Banderfunk“) keine Gefangenen und stellt schnell klar, dass immer mit tiefen Angriffen auf die Magengrube zu rechnen ist. Vor allem aber obsiegt niemals die Technik über das Feeling. Was könnten die Drei ein Frickel-Feuerwerk abbrennen, sich in Duelle steigern und die Bodenhaftung verlieren – stattdessen ist die Besinnung auf den Spaß am Zusammenspiel jederzeit greifbar, das Bewusstsein für den Mitspieler zur Linken und Rechten immer präsent.
Überhaupt legen die Stücke, obwohl offenbar alle in Gemeinschaftsarbeit geschrieben, oft den Fokus auf einen der Musiker, was sich bereits an der Tracklist ablesen lässt: Offensichtlich ist „Marcopolis“ zunächst mal eine Minnemann-Show, deren Weg nur über Schlagzeug und Gitarre führen kann, während „The Blizzard“ selbstredend vom „Wizard“ geprägt ist, dessen Piano entgegen des Titels allerdings nur Ruhiges absondert. In „Descent“ wiederum genießt Levin alle Aufmerksamkeit: Minnemann hält das Tempo konstant, Rudess beschränkt sich überwiegend auf Ambienthintergründe und Levin improvisiert dazu unaufgeregt Matheübungen.
FAZIT: „Levin Minnemann Rudess“ liefert, was das Namedropping-Triptychon verspricht: Jazzgeist, Virtuosität, Spontaneität, Ungezwungenheit und manchmal etwas Übermut. Trotzdem liegt mehr vor als eine Fingerübung dreier Szenestars: Die randvoll mit spannenden Kompositionen angereicherte CD zeugt davon, wie nachhaltig ein Zeugnis musikalischer Produktivität wirken kann, das eigentlich Flüchtigkeit vorgibt. Wer weiß, ob das Trio jemals wieder so zusammenspielt. Falls doch, könnte man es ihnen nicht verdenken. Das alles muss immerhin einen Heidenspaß gemacht haben.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.12.2013
Tony Levin
Marco Minnemann
Jordan Rudess
Marco Minnemann
Tony Levin (Chapman Stick, Cello)
Lazy Bones / Just For Kicks
64:47
05.09.2013