Auf ihrem bereits 8. Album machen das holländische LIFE LINE PROJECT um den Multi-Instrumentalisten ERIK DE BEER, ihrem Namen alle Ehre. Sie zeichnen wieder musikalisch und textlich eine Lebenslinie nach, die an Bitternis und Leid kaum zu übertreffen ist und sich mit dem Völkermord an den Armeniern während des 1. Weltkrieges beschäftigt. Als logische Konsequenz ist „Armenia“ dann auch den nach Schätzungen in dieser Zeit ca. hunderttausend durch die Türken ermordeten Armeniern gewidmet.
Wer bereits etwas von diesem holländischen Projekt gehört hat, der wird schnell mitbekommen haben, dass EMERSON LAKE & PALMER nicht nur Vorbild von Erik de Beer, sondern auch intensive Musik-Inspirationsquelle sind. So überrascht es beinahe schon, dass „New Flight“ mit hardrockenden Klängen der Marke DEEP PURPLE beginnt, bis sich die Keyboards wie selbstverständlich ein Stelldichein mit ELP geben. Auch die Sängerin MARION BRINKMAN, die besonders höhere Töne bevorzugt, darf den Hörer von ihrer stimmlichen Qualität überzeugen. Doch bereits hier wird einem auch das große Manko dieses Albums bewusst, das sich weniger auf die Musik als auf die Produktion bezieht. Der Sound ist von Anfang bis Ende zu dünn, ihm fehlen besonders die tiefen Töne und ein raumfüllendes Klang-Volumen. Gerade bei solch einem, dem symphonischen Prog alle Ehre erweisenden Album ist dieser Makel extrem störend.
Das Instrumental „Another Deadline“ das kompositorisch so hervorragend klingt, wie die besten Einspielungen von TRIBUTE, leidet ebenso unter dieser Schwäche, weil hier auch das handwerklich sehr gute und komplexe Schlagzeugspiel von LUDO DE MURLANOS viel zu blechern klingt. Hier wird wirklich klasse Musik durch eine minderwertige Produktion deutlich unter Wert verkauft.
Vielfalt aber ist das Schlüsselwort für die Musik auf „Armenia“. Akustische Gitarren, die klingen, als würde sie ein AL DI MEOLA spielen, E-Gitarren, die auch richtig metallisch rocken können, Keyboards zwischen WAKEMAN und EMERSON, aber auch klassische Piano-Passagen, genauso wie Flöten, Lauten und Spinette, die das Mittelalter, ähnlich wie bei ENID, wiederbeleben, Mandolinen oder Ukulelen, die etwas Folk- und Country-Atmosphäre verbreiten – das alles erwartet einen auf „Armenia“. Und immer wieder der kunstvolle Keyboard-Rock, der in den 70er Jahren ELP zur Legende werden ließ.
Das Sahnestück von „Armenia“ aber hebt sich das LIFE LINE PROJECT bis zum Ende seiner CD auf – die vierteilige Suite, deren Namen auch das Album trägt. „Armenia“ kombiniert waschechte Klassik mit elektronischer Verspieltheit, genauso wie melodramatischen Prog mit beängstigenden Marschrhythmen und reinsten ELP-Art-Rock mit symphonischen Bombast, der durchaus auch mal richtig rocken darf und mit E-Gitarren seine Soundwälle befeuert bis akustische Gitarren und Flöten ihr leidvolles Lied singen. Eine wirklich würdige Suite zu einem dermaßen todtraurigen Thema.
FAZIT: Dieser holländische Musik-Ausflug in die armenische Genozid-Hölle des 1. Weltkriegs ist eine gelungene musikalische Geschichtsaufarbeitung mit der hohen Kunst von progressiv verspieltem, jede Menge Stimmungen suggerierendem Rock. Leider ist die Aufnahmequalität des Albums nur sehr mittelmäßig, sodass am Ende von einem sehr guten Prog-Album nur noch ein guter Gesamteindruck übrig bleibt.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.09.2013
Erik de Beer
Marion Brinkman
Erik de Beer
Erik de Beer
Ludo de Murlanos
Elsa de Beer (Flöten), Dineke Visser (Oboe), Anneke Verhage (Klarinette)
Eigenvertrieb
62:06
09.09.2013