Sei das Ende der Welt auch ein noch so faszinierendes Thema, dauerhaft reproduzieren kann man es nicht. Hat man sich dazu verschrieben, die letzten Tage der Erde immer wieder in ein neues Klangbild zu kleiden, wird man sich bald einer zunehmend schwierigeren Aufgabe ausgesetzt sehen. Nach der Vernichtung kommt immerhin das Nichts, und sich diesem zu widmen, käme irgendwann einem obsoleten Akt gleich.
LOCRIAN haben schon auf „The Clearing“ etwas Gewaltiges über die Erde rollen lassen, das nichts als Ruinen hinterließ. Einen Totalschaden würde man das in der Wirtschaft nennen, sofern eine solche in der Welt der Chicagoer Endzeitspezialisten überhaupt noch existierte.
Was also kann das Dreigespann auf seinem Relapse-Debüt noch bieten, um die Allgemeingültigkeit des Vorangegangenen zu toppen? Nun, es lässt einfach Überlebende aus den Trümmern kriechen und sie Zeuge werden, wie die uralte Gottheit der Zerstörung im Davongehen begriffen plötzlich halt macht und wieder umdreht, um endgültig alle Reste von Leben zu pulverisieren. „Return To Annihilation“ ist das Album der Farbe Weiß, die eigentlich gar keine Farbe ist, sondern bloß das Ende eines Spektrums in einem Bereich, der keine Übergänge, kein Vorher und Nachher mehr kennt. Hier wird nichts mehr zu Bruch geschlagen, sondern einfach in seine Atome aufgelöst, und obwohl das Cover den Faden des Vorgängerwerks aufgreift und die Abwesenheit des Menschen an einem Ort des früheren Alltags und des Lebens betont, wird das Motiv von den ausblassenden Konturen überdeckenden Nebels zersetzt. Dies müsste das absolute Ende sein, doch fällt das zugehörige musikalische Zeugnis derart kraftvoll aus, dass es höchst unwahrscheinlich scheint, dass hier ein Abschied gefeiert wird.
Nicht einmal beansprucht der Dämon am Horizont mit seiner rechten und linken Hand, der Depression und der Aggression, das absolute Monopol, auch wenn das Weiß wieder mit reichlich Schwarzmetall gestrichen wird - insbesondere, was das verzweifelte, hallende Kreischen im Hintergrund angeht. Vorerst muten die Drones aber beinah freundlich an, „Eternal Return“ bereitet mit bestimmenden, aber hell schallenden Frequenzen den Boden, ohne deswegen in Sachen Elementarphysik an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Im Gegenteil; dass die Zersetzung nicht unreflektiert in wüsten Tönen gemalt wird, macht sie irgendwo sogar noch erschreckender.
Und keine Sorge, richtig ungemütlich wird es im weiteren Verlauf noch zu mehreren Gelegenheiten. Die erzürnte Steppvisite aus dem Himmel etwa stampft mit ordentlichem Wumms auf die Erde und bietet dabei einen ähnlich hypnotischen Bass wie das letzte BASS COMMUNION-Album, um dann unvermittelt mit wüsten Elektroblitzen brutal zuzustechen; „Panorama Of Mirrors“ ist purer Terror-Kreisch-Noise, folgend auf das geisterhafte, auf bizarre Weise friedfertige „Exiting The Hall Of Vapor And Light“, das kurz glauben macht, die Vernichtung sei bereits vorüber. Wie der finale Viertelstünder endet, erklärt sich da fast schon selbst – in einem Massaker selbstverständlich.
Aber LOCRIAN zeigen auch ungewohnt melodische Seiten. Erstmals zupft „Two Moons“ etwas zusammen, das aus fernöstlichen Spielarten destilliert scheint, und selbst das über den langsamen Schlagzeugbeat gelegte Störsignal lässt sich dazu herab, eine erkennbare rhythmische Tonabfolge zu leisten. Der prägnanteste Moment des Albums ist aber sicherlich das Riff im Schlussteil von „Return To Annihilation“ – in einem Moment, in dem man allenfalls noch mehr Chaos erwartet hätte, schält sich plötzlich etwas heraus, das man greifen kann. Nur selten werden Riffs so effektiv präsentiert. Ebenso bleibt die akustische Eröffnung von „Obsolete Elegies“ hängen.
Durch den Auf- und Abbau von Noise-Schwällen und posthumer Tinitus-Ruhe, die nicht immer nur doomige, sondern manchmal regelrecht freundlich wie der Marshmallow-Mann von „Ghostbusters“ wirkende Stimmung gewinnt „Return To Annihilation“ einen sorgfältigen, sterilen, maschinellen, beinahe bürokratisch-korrekten Charakter; die Zerstörung scheint vom Universum legitimiert und bedarf somit keiner Trauer oder sonstiger melancholischer Anwandlung. Gerade die Abwesenheit von Mitgefühl für eine Zivilisation am Ende des Abgrunds ist es, die diese Aufräumaktion so gruselig macht.
FAZIT: Mag man von leeren Hallen, verwaisten Einkaufswagen und möglicherweise noch folgenden weiteren Relikten ehemaligen Alltags halten, was man will – solange LOCRIAN weiterhin derart geschickt die Stimmung wechseln wie zuletzt auf „The Crystal World“ / „The Clearing“ / „The Final Epoch“ / „Return To Annihilation“, dürfen sie beim nächsten Mal von mir aus auch ein verlassenes Kinderkarussell aufs Cover bringen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.08.2013
Terence Hannum
André Foisy
Steven Hess
André Foisy (Synthesizer), Terence Hannum (Synthesizer), Steven Hess (Elektronika)
Relapse Records
51:16
12.07.2013