Einmal mehr wartet Touch-Guitar-Avantgardist Markus Reuter mit einem bestechenden Konzept auf: Im Titel "Todmorden 513" (der Name ist eigentlich jener einer englischen Kleinstadt) findet das Paradoxon der Tötung des Todes Ausdruck, und musikalisch setzt der Künstler diesen Gedanken in genau 513 verwendeten Akkorden um, bis der erste zum Schluss erneut erklingt. Der Kreis schließt sich also, und der Kopf schmerzt angesichts einer solchen Intellektualisierung von Klang.
Letztlich mutet der Überbau aber prätentiöser an, als sich die Musik gestaltet. "Todmorden 513 besteht überwiegend aus flächigem Dröhnen zu dem Suspense-Szenen aus einem Film-Noir-Klassiker passen würden - oder umgekehrt: Das Album wäre ein trefflicher Soundtrack zu einem Krimi in Schwarz-Weiß mit zwilichtigen Bösewichten, breiten Hutkrempen und nicht gezeigten Gewalttaten. Den Blutrünstigen respektive Action-Süchtigen mag dies unbefriedigt zurücklassen - all diejenigen ohnehin, die nach Songs suchen -, aber lässt man sich auf dieses schummrige Sound-Ereignis (trifft den Nagel genauer auf den Kopf) ein, wird man nicht bloß in Watte gehüllt wie von einer beliebigen Ambient-Platte, sondern durchläuft einen Wandel, und zwar spätestens ab der zweiten Hälfte des dritten Abschnitts, der mit zwölf Minuten das vorweggenommene Zentrum der Komposition markiert. Hier wird Reuter regelrecht symphonisch und benötigt auch weite Teile des folgenden Segments, um die Stimmung erneut zu dämpfen.
Dann kommen klingelnde Glöckchen hinzu, gleichzeitig da die Dynamik-Schraube abermals angezogen wird. Zimbeln zischen, und einzig das Ab- und Anschwellen der Scapes deutet auf Variation hin, während man sich als Hörer in eine Stasis versetzt fühlt, die ja tatsächlich auch ein Aspekt des Todes ist. Hat man dann die zehn Minuten nach dem letzten gesetzten Index von "Todmorden 513" unbescholten hinter sich gebracht, besitzt man das gute Recht, das Projekt als gegen die Wand Erbrochenes mit edlem Bilderrahmen ringsum zu bezeichnen. Vielleicht sollte man es aber auch einfach mal in Form einer Bühnenperformance erleben, denn sicher ist: Hiermit lässt Markus Reuter definitiv niemanden kalt - im Guten wie im Schlechten.
FAZIT: "Todmorden 513" ist rigorose Avantgarde und ein wirkliches Wagnis am Rande von eigentlicher Musik, wie man sie landläufig versteht im Zeitalter von zu Tode komprimierten und mit Hit-Plätzchenform ausgestochenen Produkten. Dass dieses sonische Auf und Ab jedoch genauso das Gemüt bewegt wie ein als "gut" empfundener Song, legitimiert seine Existenz als ein großer Nichtigmacher des Todes - vielleicht sogar auf symbolischer Ebene, nämliche indem es Stagnation und Konvention (ebenfalls gewissermaßen Arten des Sterbens) widersagt.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.11.2013
Markus Reuter
Hyperfunction / Galileo
60:54
15.11.2013