Ach, welch betörende Vorstellung: Black dressed in leather und blind ins Regal mit dem Buchstaben „N“ gegriffen, daheim „Futurized“ in den Player gelegt: In Erwartung schwärzesten Metals bis zum Abwinken. Doch nichts da, kein „Blood & Vomit“, keine „Whore, Filthy Whore“, die ordentlich gewürgt werden muss. Mit dem norwegischen Black-Metal-Projekt gleichen Namens hat Bjørn Jeppesens NATTEFROST (nur echt mit dem Kreis ums zitterige „N“) nichts zu schaffen. Seit 1995 ist der Däne unterwegs, um der Welt seine Vorstellung von elektronischer/Ambience-Musik „influenced by the ancient Scandinavia“ nahezubringen. „Futurized“ ist bereits das neunte Album.
Die vorigen Werke waren recht elegant zwischen den (deutschen) Klassikern der elektronischen Musik und der gepflegten Chill-Out-Zone eingebettet, d.h. elegische, breitflächige Sounds trafen auf angenehm abwechslungsreiche Sequencer-Rhythmen; ganz selten tauchte Jeppensens Musik zu tief ins harmonische Wohlfühlbad der Seele ein.
Rhythmisch legt „Futurized“ einen Zahn zu und gibt auch Sängern eine Chance. Das verleiht den, immer noch von langen Instrumentalpassagen geprägten Stücken, einen etwas poppigeren Anstrich. CHICANE auf Lounge-Tour mit MICHAEL HOENIG oder seinen ehemaligen Arbeitgebern TANGERINE DREAM (in den besseren Phasen nach 1985), verfeinert mit einer Prise KRAFTWERK.
Rau, dunkel und drangvoll genug, um nicht im beliebigen Pluckern verträumter Synthesizer-Sounds zu versanden, bietet „Futurized“ ein umfangreiches Spektrum dezent melancholischer Klänge, die sich sogar trauen im Euro-Discoland zu verweilen („Will I Get To Your Heart“) und sacht mit Techno spielen, ohne peinlich zu werden. Wer die Klassenräume der Berliner Schule verlässt, um in den Pausen kurz nach Ibiza zu fliegen, der wird mit NATTEFROST unterwegs gut klarkommen.
FAZIT: Schon vertragen Sireena und ich uns wieder. NATTEFROSTs neuntes Album ist ein kosmischer Trip (der musste jetzt einfach mal sein), der viele elektronische Mautstellen passiert, Einflüsse von KLAUS SCHULZE über VANGELIS („See You Later“) bis KRAFTWERK und versonnener EBM einbaut, dabei aber einprägsam und eigen bleibt. Ein wenig Offenheit und Gefallen an einfacherem Pop-Strukturalismus sollte man schon mitbringen, Adepten der reinen elektronischen Fließlehre könnte „Futurized“ zu technoid sein; ein Diplom in Space-Rock ist indes nicht hinderlich, um an Bjørn Jeppesens aktuellem Reiseprogramm mit Genuss teilzunehmen.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.05.2013
Michel Moers, Remember Green, Dorvo, Bjørn Jeppesen
Bjørn Jeppesen
Bjørn Jeppesen
Sireena Records
52:11
03.05.2013