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Padre: From Faraway Island

Stil: Akustischer Neo-Prog trifft auf Kunstrock und Folk

Cover: Padre: From Faraway Island

Wenn sich eine polnische Band mit dem italienischen Begriff für den Papst oder Gottvater schmückt, dann läuten in mir nicht nur die Kirchen-, sondern auch Alarm-Glocken! Kommt hier etwa wieder so eine Musik mit religiösen Botschaften daher, die mir gehörig auf den Klingelbeutel gehen? Öffnen da ein paar junge Musiker aus Polen wieder die musikalischen Himmelstore, hinter denen NEAL MORSE und TED LEONARD thronen und ihr (textlich so wenig) progressives Musikzepter samt kreuzgefährlicher Anti-Homo-Kondom- oder Pro-Zölibat-Intoleranz-Botschaften schwingen?

Hier stimmt doch was nicht!?
Allein ein Blick auf das Cover von PADRE zeigt definitiv nicht den Papst, sondern ein kleines, süßes Figürchen, das man sofort durchknuddeln könnte, welches auf einem utopisch anmutenden Wesen durch die grüne, bergige Landschaft saust. Mehr Marsmännchen als Gottvater!
Welch Glück!
Und ein Blick ins Deutsch-Italienisch-Wörterbuch offenbart zugleich auch die „andere“, weniger Vatikan-nahe Übersetzung des Begriffs – nämlich, schlicht und ergreifend „Vater“, ohne jegliches religiöses Beiwerk. „Und das ist auch gut so!“, würde sicher auch der „Null-Problemo“-Flughafen-Experte und zugleich von seiner sexuellen Ausrichtung her seitens der katholischen Kirche garantiert nicht als Vorbild empfundene Berliner Bürgermeister ausrufen!

Beruhigt lehne ich mich also nach den ersten Klängen von „From Faraway Island“ zurück und genieße die väterliche Reise mit meinem kleinen roten Freund durch eine weit entfernte Insel. Ein akustisch wie konzeptionell-textlich begeisternder Ausflug, der eine wundervoll entspannende Stimmung voller akustischer Gitarren & Bässe, gefangennehmender Piano-Passagen, Streichern, virtuosen Schlagzeugeinlagen und rundum zartfühlendem Gesang enthält. Wer sich seine Kopfhörer schnappt und die Augen schließt, während er sich auf diese in Gedanken fast unerreichbare, über unsere Ohren aber ganz nahe Insel begibt, der wird seinem Gott näher sein als in jeder Kirche.

PADREs Musik enthält keine unerreichbaren Glaubenslehren von wasserpredigenden Weinsäufern, sondern eine von uns längst in Vergessenheit geratene Botschaft:
„Genieße die Schönheit und Ruhe, die dir dieses Leben, diese Natur in jener computerisierten, durchprogrammierten Alltagshektik tatsächlich auch bereithält. Ziehe dich zurück auf deine Insel. Die Insel in dir, wenn dir nicht gerade eine echte Insel, fernab von Straßen- und Industrielärm, zur Verfügung steht. Ein guter Kopfhörer allein reicht schon für diesen Rückzug in akustisch-sinnliche Genüsse!“
Musik voller Harmonie, der manchmal die eine Ecke oder andere Kante fehlt. Doch wünschen wir uns insgeheim nicht das Gleiche auch für unser Dasein?

Ich weiß nicht, ob wir im progressiven Rock schon eine kleine Schublade haben, die Akustik-Prog- oder Akustik-Art- oder Akustik-Neoprog-Rock heißt? Für PADRE sollten wir diese Kategorie unbedingt erfinden. Wie schön, wenn wir bald noch weitere Bands oder Musiker dort mit einordnen dürften, die mit solcher Konsequenz, wie die(se) polnischen Ur-Väter dieser Musikbewegung, ihre Alben konzeptionell von Anfang bis Ende mit kunstvollem „Ruhig-Prog“, der sofort ins Ohr und etwas später garantiert auch zu Herzen geht, füllen.

Bereits auf „Frantic Day“ verabschieden sich PADRE mit beinahe lustvoll-lustigen, leicht folkigen Melodien von diesem „hektischen Tag“, an dem das Auto nicht anspringen will, welches sie in eine „Welt voller Respekt und Ehrlichkeit“, die nicht von großen Worten, sondern großen Taten bestimmt wird, transportieren soll. Mit „From Faraway Island“ begeben wir uns 45 Minuten lang auf die Suche nach dieser Welt, die im Grunde nur eine Insel im äußeren wie inneren Universum geworden ist. Nur wir können diese Insel finden, darum: „Do not dream about fortune of live / it's a kind of unwritten lie / So if you get stuck in it / Close your eyes and … / Runaway with me!“ (Träume nicht vom Reichtum in deinem Leben / Er ist nur eine unglaubliche Selbstlüge / Die man in dich eingepflanzt hat / Schließe einfach deine Augen und … Fliehe mit mir!) Ein Album auf der Flucht vor „The Big Lie“ und nach der Suche um „A little bit of trust“, in der auch ohne PETER GABRIEL, aber trotzdem im akustischen GENESIS-Gewand, der „Red Rain“ auf uns hereinbricht und sich mit unseren Tränen vermischt oder wir in „I Have Been Blind“ mit dramatischen, tiefen Piano-Klängen unsere eigene Blindheit durchschauen, weil wir erkennen müssen, dass „Even when you think that you know them / Just be sure that you are blind ...“!

Ein besondere Stärke von „From Faraway Island“ liegt in den herrlichen, die unterschiedlichsten Stimmungen transportierenden Pianoeinlagen von KRZYSZTOF LEPIARCZYK, die einen besonderen Höhepunkt im beschwingten „Dancing Prayers“ findet – ein Song, der sich irgendwo zwischen MARC COHNs „Walking In Memphis“ und BRUCE HORNSBYs „The Way It Is“ bewegt und nach dem „Paradise inside of us“ sucht. Bei solcher Musik scheint die Suche nach unserem inneren Paradies regelrecht zum Erfolg verdammt zu sein in dem Adam auf Eva trifft, ohne dass sich irgendeine intrigante Schlange dabei einmischt. Ganz ähnlich eben wie die Fahrt des kleinen roten Männchens, das genauso grün, blau, gelb, aber garantiert nicht braun sein könnte. Es hat seine Insel gefunden. Warum sollten wir unsere nicht finden. Die musikalische Landkarte für unsere Suche haben wir bereits entdeckt. Einfach diesen PADRE-Silberling in unseren CD-Player einfahren lassen und nicht „Dull And Ignorant“ sein, wie es die letzte Ballade auf diesem Album verkündet, sondern hören und wundern, wie verworren und schön eine Musik-Reise sein kann, die sich nicht auf Straßen, sondern fein verflochtenen Noten bewegt, bei denen Schönklang oberstes Gebot ist und an deren Ende der wundervolle Satz steht: „It is still a beautiful world ...“ - ein Satz, der bei den Einen noch ein Fragezeichen, bei den Anderen ein Ausrufezeichen enthält. Es ist an euch, das richtige Satzzeichen zu setzen – so Gott will, oder ihr vielleicht einfach nur euch selbst vertraut!

FAZIT: Die Zeit für Päpste und Kirchen ist vorbei! Entlegene Inseln sind so viel schöner und natürlicher. Vertraut nicht dem Padre im Vatikan, sondern den musikalischen PADREs aus Polen, die davon nicht nur ein Lied zu singen wissen, sondern auch Musik schaffen, die wie eine gefühlvolle Unplugged-Version zwischen YES, GENESIS und PAIN OF SALVATION klingt. Oder mit PADREs „Last Words“ ausgedrückt: „In dead silence we are laying down / Lazy into a peacefull of our home / And I am starting to play so harmonic sound in it we are.“ (Wir ergeben uns der Todesstille unseres friedlichen, bequemen Daheims und versuchen genauso harmonisch zu klingen.)

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.03.2013

Tracklist

  1. Frantic Day
  2. From Faraway Island
  3. Red Rain
  4. I Have Been Blind
  5. Last Words
  6. Dancing Prayers
  7. Drowsy Town
  8. Dull And Ignorant

Besetzung

  • Bass

    Maciej Tomczyk

  • Gesang

    Marek Smelkowski, Julia Stolpe

  • Gitarre

    Maciej Tomczyk

  • Keys

    Krzysztof Lepiarczyk

  • Schlagzeug

    Grzegorz Fieber

Sonstiges

  • Label

    Lynx Music / Just For Kicks

  • Spieldauer

    42:06

  • Erscheinungsdatum

    01.02.2013

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