Nennen wir es einfach mal den DREDG-Schock!
Genau dieser überkam mich, als ich in dem, wie's langsam scheint, verhängnisvollem Jahr 2011 „Chuckles And Mr. Squeezy“ hörte und mich fragte, was einer Band einfällt, ihre bis dahin ansprechende Musik zwischen Indie, Prog und Rock im tiefen Pop-Sumpf zu versenken. Voller Wut schrieb ich in einem Gästebuchkommentar dazu: „Was fällt eigentlich einer Band ein, ihre bis dato treuen Anhänger mit einem Album dermaßen zu verarschen? Diese Musik ist nicht nur ein Tritt ins Gemächt, sondern pures Rüher-Ei! Auch denke ich, dass DREDG den Schaden, den sie mit dieser Scheibe angerichtet haben, nicht wiedergutmachen können.“
Ersetzt man nun den Bandnamen DREDG durch PATRICK WOLF, dann weiß man, was einen auf „Lupercalia“ erwartet. Vielleicht reicht auch schon ein Blick auf das Cover, das mehr als tausend Noten sagt. Genauso glatt und toupiert mit zwei aus Versehen nicht wegretuschierten Leberflecken am linken Ohr des Künstlers, die wohl für seine bis dahin noch eindrucksvoll sperrigen Alben voller musikalischer Experimentierfreude standen, klingt dieser Schmacht-Pop. Musik für Weicheier im weißen Anzug mit weißen Stoff-Vögeln am Ohr, die einem in Gleiches zart trällern: „Singe wie eine Amsel im Flug und schaue dabei wie Florian Silbereisen auf Speed.“ Würde man allein bei „The Future“ mal alle Ohohohos zählen, die ganze eigene Zukunft ginge dabei drauf. Oder das melodramatisch beginnende „Armistice“, das sich dann in ständigen „Come Closer“-Wiederholungen unerschöpflich wie eine Made in einer zuckersüßen Kirsche suhlt, ist einfach – wie im Grunde jeder einzelne Song von „Lupercalia“ - zu viel des Guten. Schwülstige Streicher gibt’s jede Menge, Handclaps und Gesänge, die ein BRYAN FERRY selbst in seinen schlimmsten Zeiten nie so schmalzig-schmachtend hinbekommen hat.
POLARKREIS 18 mit ihrem schrecklichen „Frei“-Album sind für mich eigentlich die einzige Vergleichsgröße für diesen Wolf, dem die Zähne komplett ausgefallen sind. Hier beißt nichts mehr, hier knabbert's noch nicht mal, hier zieht sich ein Wolf selbst die Zähne, um sie gegen Anti-Schuppen-Shampoo und Haarfestiger sowie das Gel mit dem extrafesten Halt einzutauschen, das einem die Loden direkt über die Gehörgänge pappt, damit alles wie durch einen zarten Schleier klingt. Erst trieft einem das Schmalz aus den Boxen, dann aus den Ohren und am Ende bleibt außer einem Haufen süßlichen Musikkleisters, den man mit keinem Ohrenstäbchen, sondern höchstens mit der Stop-Taste des CD-Players bekämpfen kann, übrig. Und dieses FAZIT natürlich:
PATRICK WOLF ist ein übler Popper geworden. Ein Typ, der meinem Meerschweinchen mit seiner Musik Geborgenheit vermittelt und mich am liebsten (statt meines Meerschweinchens) ins Gras beißen lässt! Vor lauter Wut und Unverständnis.
Punkte: 2/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.05.2013
Nick Haward
Patrick Wolf
Thomas White
Patrick Wolf
Marcello Vig
Lupercalia Orchestra (Und sie streichen und streichen und streichen!)
Mercury Records
40:59
06.05.2011