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Paul McCartney: New

Stil: McCartney

Cover: Paul McCartney: New

Und da sind sie wieder, die bangen Fragesteller: „Was kriegt Paul McCartney Solo ohne sein Korrektiv John Lennon gebacken; erfindet er sich neu, macht er weiter wie bisher, schwankend zwischen Glanz und Peinlichkeit und vor allem, wie viel BEATLES-Feeling wird „New“ versprühen?

Die erste Frage ist natürlich komplett hinfällig. JOHN LENNON ist zu unserem Leidwesen seit dreiunddreißig Jahren tot, und ein halbwegs adäquater Nachfolger an MCCARTNEYs Seite hat sich nie eingestellt. Dabei wird gerne übersehen, dass beide Musiker während ihrer langen Karriere sowohl grandiose wie grausige Songs schufen, und das nicht nur zu Post-BEATLES-Zeiten. Und gerne vergessen wird auch, dass MCCARTNEY neben Kokolores („Obladi Oblada“) ein paar der besten BEATLES-Stücke nahezu im Alleingang geschrieben hat. Von „Hey Jude“ über „Eleanor Rigby“ bis zum explosiven „Helter Skelter“. Auf dem gleichen Album zu finden wie die Lennon/Ono-Collage „Revolution #9“. Unnötig zu fragen, welcher der beiden Songs nicht nur Musik- sondern auch Zeitgeschichte geschrieben hat…

Die Frage nach dem „neu erfinden“ ist schon interessanter. Der Mann hat Oratorien geschrieben, als „Fireman“ mit Elektronik herumexperimentiert und noch ein paar Kleinigkeiten mehr. Ist – teilweise nicht ganz zu Unrecht – wenig wohlwollend aufgenommen worden. Was wird denn noch erwartet – Punk? Spielt „Mull Of Kintyre“ mit 78 Umdrehungen, und ihr habt auch das.

Was die Peinlichkeit angeht gibt es Entwarnung, kein „Ebony And Ivory“, „Press“ und Konsorten. Bleibt ein wenig Glanz und entspannter Umgang mit der eigenen Vergangenheit. So entspannt, dass „I Can Bet“ wie einer der Versuche Jeff Lynnes klingt, die BEATLES nachzuspielen, und dabei das Glück hat, Macca himself als Sänger zu bekommen. Irgendwie irritierend.

Daneben, davor und über allem gibt es den „typischen“ MCCARTNEY-Pop. Schlichte Melodien, geschickt arrangiert, produziert und mit dem gewissen Kniff, der zu Herzen geht. Gleich der Opener ist hingeschmetterter Art-Pop mit Sahnehäubchen; knapp und knackig, keine Note, kein Instrument zu viel. „On My Way To Work“ ist das resignative Gegenstück zu “A Day In The Life”. Keine surrealistische, individuelle Endzeitvision mehr, sondern ein freundlicher, kleiner, fieser Song, der das Aufregende zu Beginn eines Arbeitstags zusammenfasst: Das gebildete Mädchen aus Chichester („she studied history“) entblößt ihren Oberkörper in der Zeitung nur für den sehnsuchtsvollen Pendler. Schlau ist sie bestimmt auch.
„Hosanna“ ist im Refrain auf den ersten Hördurchgang schwer verdaulich, entpuppt sich aber nach und nach als feine Hommage an George Harrison und seinen bekanntesten Hit „My Sweet Lord“. Des Weiteren finden sich kleine Wohlfühloasen in Pop, aufgepeppt mit ein wenig elektronischem Zierrat und dem sympathischen Versuch MCCARTNEYs so zu trommeln wie RINGO STARR. Es wäre ein Quell zusätzlicher Freude gewesen, wenn Mr. Starkey selbst an die Felle gebeten worden wäre.

PAUL MCCARTNEY ruht mittlerweile derart in sich selbst, dass er sich erlauben kann, das Highlight des (Standard)-Albums als Hidden Track ganz ans Ende zu packen. „Scared“ ist eine jener anrührenden Balladen wie sie MCCARTNEY seit „Yesterday“ immer mal wieder produziert hat. Klavier, brüchige Stimme und ein wenig elektronische Untermalung reichen für einen großartigen Song.

Das vorhergehende „Road“ als letzter offizieller Track ist schon klasse, doch „Scared“ setzt noch einen drauf. Und man ertappt sich bei der Vorstellung, was wäre wenn… PAUL MCCARTNEY demnächst ein komplettes, auf‘s Wesentliche reduzierte Album mit nur einem Produzenten aufnehmen würde? Rick Rubin vielleicht….

Ist ja noch Zeit, der ewig jugendliche MCCATRNEY hat sein achtes Lebensjahrzehnt gerade erst begonnen.

FAZIT: „New“ ist kein Tempel, der den BEATLES mit modernen Mitteln gebaut wurde; es wird für keine Erschütterung der derzeitigen Musiklandschaft sorgen. Aber man kann das Album von Anfang bis Ende ohne Reue genießen, mal diesen oder jenen Song hervorheben oder in die zweite, dritte Reihe schicken, diskutieren, ob die Vielzahl von Produzenten eher genutzt oder geschadet hat. Genug Spannungspotenzial, um darüber zu streiten, genügend Pop mit Gefühl, um es beiläufig mitzunehmen, und ein wenig Ergriffenheit gibt es obendrauf. When I‘m Seventy One möchte ich so was auch noch hinkriegen.

Leider ist Macca in einem Punkt ganz aktuell. Es gibt nicht nur ein amtliches Album, sondern eine Standard-Ausgabe, die Deluxe-Version mit weiteren Songs und eine spezielle Japan-Ausgabe mit noch einem Lied zusätzlich. Die Zeit für sorgsam ausgearbeitete Album-Klassiker ist einfach vorbei.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.10.2013

Tracklist

  1. Save Us
  2. Alligator
  3. On My Way To Work
  4. Queenie Eye
  5. Early Days
  6. New
  7. Appreciate
  8. Everybody Out There
  9. Hosanna
  10. I Can Bet
  11. Looking At Her
  12. Road (includes "Scared" as a hidden track)

Besetzung

  • Bass

    Paul McCartney, Steve McManus, Richard Pryce

  • Gesang

    Paul McCartney, Rusty Anderson, Abe Laboriel, Jr., Brian Ray

  • Gitarre

    Paul McCartney, Rusty Anderson, Brian Ray

  • Keys

    Paul McCartney, Toby Pitman,Paul Wickens

  • Schlagzeug

    Paul McCartney, Paul Epworth,Ethan Johns, Abe Laboriel, Jr.

  • Sonstiges

    Paul McCartney, Brian Ray

Sonstiges

  • Label

    Concord

  • Spieldauer

    46:11

  • Erscheinungsdatum

    11.10.2013

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