Wieder schließt Sireena dankenswerterweise eine Lücke der jüngeren Musikhistorie und legt tPAUL ROLANDs Debüt-Album mit den MIDNIGHT RAGS aus dem Jahr 1980 neu auf, ergänzt um vier bislang unveröffentlichte Bonustracks. Von denen die bluesige T-REX-Hommage an den großen Whisky-Brenner „Jack Daniels“ Klassikerstatus verdient hat.
Zwar existieren die Highlights „Blades Of Battenburg“, „Puppet Master“, “Werewolves Of London”, “Dr. Strange” und “Lon Chaney“ bereits auf diversen Kompilationen und/oder Bonus auf regulären Alben (die legendären „Blades“ alleine in mehrfacher Ausfertigung), doch die Songs im ursprünglichen Kontext zu hören, plus die bislang unberücksichtigten Stücke dazwischen, machen „The Werewolf Of London“ zu einer höchst erfreulichen Veröffentlichung. Für den PAUL ROLAND-Aficionado sowieso, aber für jeden Reisenden in die etwas abseitigeren Winkel der Musikhistorie springt etwas heraus.
Der damals 19jährige ROLAND wusste schon genau, wo seine Reise hingehen soll. Gotischer Horror, Märchenwelten, mit einem Hauch Surrealismus angereichert, abgründige Verbrechen aus Leidenschaft, eine tiefe Liebe zu Literatur und Film, vor allem den Klassikern des Gangster- und Horrorgenres, wie ihren leicht verkrüppelten und umso liebenswerten Brüdern und Schwestern am Rande des Mainstream-Weges. ROLAND hat keine Scheu T.S. Eliot und Lewis Carroll auf Horrorfilm-Ikone Lon Chaney („Der Mann mit den tausend Gesichtern“) und den Meister der großen Gesten Vincent Price treffen zu lassen. In „Brain Police“ treten sogar, im leicht billig wirkenden Achtziger-Jahre-Polyester-Soundgewand (mit mehr als einem Gedanken bei KRAFTWERK), KGB, CIA und, topaktuell, die „Security“ „in deep discussion over foreign policy“ auf.
Musikalisch bietet „The Werewolf Of London“ die Blaupausen für die nächsten Jahr(zehnt)e. Jene ganz eigene Mischung aus Glam-Rock, Folk, Gothic- und Dark-Wave, ergänzt um Drama, Soundtrack-Entwürfe und Hymnen für den Londoner Untergrund, ziemlich passend Barock’n’Roll genannt. Noch unbehauen, roh; produktionstechnisch und instrumental etwas holprig der Entstehungszeit verhaftet. Entwaffnend direkt, gefühlvoll und von hymnischer Kraft („Blades Of Battenburg“, „Werwolves Of London“, „Dr. Strange“ und der neu hinzugekommene „Jack Daniels“) in den besten Momenten. PAUL ROLANDs eigenwillige, recht hohe Gesangsstimme muss man mögen, dann beschwört sie einem eigenen, extravaganten Salon im verwinkelten alten, dunklen Haus Gänsehautatmosphäre herauf. Alle anderen werden sowieso auf ewig von den toten Augen des Dr. Dracula verfolgt.
FAZIT: Geschichtsstunde vom Feinsten. Mit „Mad Elaine“ und „Lon Chaney“ auf den Spuren der „Werewolves Of London“. Ob fliegendes Erstes-Weltkriegs-As, “Ghoul” oder “Public Enemy”, im Mitternachtskabinett von PAUL ROLAND & MIDNIGHT RAGS ist für jeden, der auf abgründige, makabre Geschichten steht, eine ansprechende Kemenate zu finden. Darauf einen „Jack Daniels“.
PS.: Fuck the “Brain Police”! Die bei unseren Politikern mangels Masse allerdings erfolglos tätig wäre.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.10.2013
Simon Balestrini, Steve Conway
Paul Roland, Robyn Hitchcock, Knox, Andy Ellison
John Daniels, Paul Roland, Robyn Hitchcock
Brian Gould, Paul Roland
Roger Diamond, Martin Meads
Paul Nesbitt-Larking (sax), Maurice Memmott (vl), Dave Sharp (cl)
Sireena Records/Broken Silence
56:27
18.10.2013