Die dritte Veröffentlichung der Brasilianer POÇOS & NUVENS ist bereits ein Konzertmitschnitt, bei dem man zwar wenig Live-Atmosphäre versprüht, seine Mischung aus Symphonic Prog und südländischem Folk aber hörbar stimmungsvoll umsetzt. Davor wird man vor Ort 2005 in Nitterói profitiert haben und tut es auch vor der Stereoanlage.
Geige, Akustikgitarre, Akkordeon und Flöte, aber auch kraftvolles Gitarrenspiel prägen die Musik des Ensembles, das weit weniger verschroben aufspielt als etwa seine heimischen Vorreiter O TERÇO, SOM NOSSO DE CADA DIA und QUINTAL DE CLOROFILA ("O Mistério Dos Quintais" von 1983 anchecken), sondern mit den gleichen technischen Mitteln arbeitet wie der proggige Westen. So klingen POÇOS & NUVENS häufig wie eine lateinamerikanische Fassung von YES zu ihren rockigen Zeiten.
Das wendungsreiche "Vega" (fungiert mit dem ähnlich gelagerten Abschluss-Epos "Poços E Nuvens" als Klammer) schlägt in die Kerbe von klassischem Prog wie Post Rock gleichermaßen - ein cineastischer Zehnminuten-Trip bevor "Vindima E Ventania" den für Unbedarfte zunächst gewöhnungsbedürftigen Gesang in den Vordergrund rückt. Die Combo setzt ihren bildhaften Kompositionen zum Trotz weitgehend auf kompaktes Songwriting im klassischen Liedformat, was "Clouds On The Road" zu einer erfrischend wenig elitären Angelegenheit macht. "Copia" poltert dynamisch zwischen Jazzrock und Folklore, das spritzige Doppel aus "Amanhecer" sowie "A Sagraçao Do Outono" (Ohrwurm) bildet ein Glanzlicht, und die beiden ruhigen Tracks "Dança Ao Crepusculo" (Flamenco-orientiertes Instrumental) und "Balada Outonal" setzen Kontrapunkte.
Ein langer gesangsloser Teil über mehrere Tracks hinweg zum Ende des Sets hin spricht für das Verständnis der Musiker für Dramatik. Die Posaune, der man auf den Studioalben eine nicht unerhebliche Bedeutung zumisst, fällt zumindest bei diesem Mitschnitt flach. POÇOS & NUVENS gemahnen dabei an frühe US-Brassrock-Bands oder wegen des Einsatzes eines Krummhorns an die Briten GRYPHON, und dass sie diese Klangfarbe hier nicht nutzen, befremdet ein wenig. Der plärrende Gesang bleibt im Übrigen eine Frage des Geschmacks und mutet oft wie notwendiges Beiwerk oder eine zusätzliche Klangfarbe an, obschon die Band textreich komponiert. Den poppigen Stücken "No Inverno" und "Geraçao Perdida" steht er recht gut, wohingegen bei düsterem Heavy-Stoff wie "Todas As Estaçoes" Gérson Werlangs Schwächen offenbar werden. Dessen ungeachtet verzeichnet "Clouds On The Road", ein Quasi-Comeback nach über zehn Jahren, keinen Ausfall und bietet Latin Prog der gehobenen Güteklasse.
FAZIT: Eine gewisse Exotik ist lateinamerikanischem Progressive Rock nach wie vor nicht abzusprechen, aber generell sind POÇOS & NUVENS leicht verträglich für alle Genre-Fans und bieten in dieser Form über eine Stunde lang gehobene Musizierkunst mit spannungsreichen Wendungen. Zum Einstieg in die Materie eignet sich die Scheibe somit bestens.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.03.2013
Alan Garcia
Gérson Werlang
Edgar Sleifer
Sávio Werlang
Carlos Netto
Edgar Sleifer (Flöte)
Rock Symphony
73:57
18.01.2013