Ob eine Mary Shelley jemals geahnt hat, was sie 1818 damit anrichtete, als sie ihr Buch „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ anonym veröffentlichen ließ? Welche Ausmaße diese Frankenstein-Mania nehmen würde – aber nicht um in erster Linie ihre Botschaft zu vermitteln, dass der Mensch sich nicht anmaßen solle, jemals künstliches Leben zu erschaffen, sondern in Filmen, Comics, Computerspielen, Bühnenstücken, Musik und Malerei immer wieder vordergründig der Horror dargestellt wird, den Frankensteins Monster verbreitet, als es sich der wissenschaftlichen Kontrolle seines Erzeugers entzieht?
Der Schweizer Viktor Frankenstein, der die Züge eines Faust und Prometheus in sich vereinigt, erschafft den künstlichen Menschen, der zum Monster mutiert, weil die Gesellschaft dessen Anderssein nicht akzeptieren kann und sein eigener „Erschaffer“ es seiner Hässlichkeit wegen verstößt und fallen lässt. Genau diese Problematik zieht sich als zentraler Schwerpunkt durch „Richard Campbell's Frankenstein“. Dass solch eine Geschichte natürlich auch in ihrer zigsten Variante eine ideale Grundlage für epischen Metal und progressiven Rock ist, versteht sich beinahe von selbst. Genauso wie die Tatsache, dass die musikalischen Eckpunkte natürlich zwischen DREAM THEATER und SYMPHONY X verlaufen. Aber auch entfernte Ähnlichkeiten zu QUEEN oder NIGHTWISH sind erkennbar, um dieser Story ihr akustisches Gewand zu verleihen.
Der Londoner RICHARD CAMPBELL, der mit „Frankenstein“ nach „Orpheus“ (2010) bereits seine zweite „Epic-Rock-Metal-Oper“ veröffentlicht, verblüfft besonders dadurch, dass er als begnadeter Multiinstrumentalist, Komponist und Texter das gesamte Album quasi im Alleingang einspielt. Dabei lässt er es ordentlich krachen, hat aber genauso wenig Angst davor, die eine oder andere große Melodie erklingen zu lassen oder ruhige und akustische Momente mit in dieses gut 60-minütige Epos einzubauen. Damit die Vertonung der literarischen Vorlage aber auch überzeugend funktioniert, lässt er sich auf seinem Horror-Musik-Ausflug von vier Sänger(inne)n begleiten, die in die Rollen von Walton (TOM BOON), Elizabeth (ALEXANDRA MARTIN), Frankenstein (TAMÁS CSEMEZ) und das Monster (J T EATON) schlüpfen. Alle Sänger machen ihre Sache zwar gut, aber Herausragendes oder Charismatisches sucht man in diesen Stimmen vergebens.
Ähnlich vergebens sucht man in dem spärlichen Booklet, das aus einer Doppelseite besteht, nach Texten oder weiteren Informationen zu dem Album. Gerade wer sich an einen literarischen Klassiker herantraut, der neben Dracula die wohl bekannteste Grusel-Geister-Geschichte darstellt, darf einfach nicht auf informativ-gestalterische Elemente verzichten. Hier spart Campbell wirklich an der falschen Ecke und unterstützt die lieblose Downloaderei, die im Falle von „Frankenstein“ bei solch einfallsloser Gestaltung mehr Sinn macht. Selbst auf RICHARD CAMPBELLs Homepage sind keinerlei Texte oder genauere Hinweise zum Album zu entdecken. In diesem Falle hat unser englischer Multiinstrumentalist sein Album eindeutig nicht überzeugend zuende gedacht!
FAZIT: Auf der offiziellen Campbell-Homepage ist unter seiner Biografie zu lesen, dass er einen „musikalischen Traum“ verfolgt – und zwar „die perfekte Verbindung zwischen DREAM THEATER, QUEEN, SPOCK'S BEARD, SYMPHONY X, PANTERA, ELTON JOHN, TOOL und ELO herzustellen“. Das gelingt ihm auf „Frankenstein“ besonders im metallisch-bombastischen Bereich, bei den ruhigeren, akustischeren, progressiveren und poppigeren Elementen gibt’s allerdings noch einige Reserven. Träum' weiter, Richard – auch wenn „Frankenstein“ bei weitem kein Albtraum ist, fehlt noch ein großes Stück bis zur Erfüllung des campbellschen Wunschtraums.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.03.2013
Richard Campbell
J T Eaton, Alexandra Martin, Tamás Csemez, Tom Boon
Richard Campbell
Richard Campbell
Richard Campbell
Eigenvertrieb / Just For Kicks
62:41
01.02.2013