Es ist oftmals ein schmaler Grad zwischen Kunst und Musik, auf dem diverse ambitionierte Projekte nicht in der Lage sind, den nötigen Balanceakt erfolgreich zu meistern. Eugenio Caria alias SAFFRONKEIRA lässt sich auf diesen erst gar nicht ein und bewegt sich zielsicher fernab jedweder Konvention. Das Resultat seines Schaffens ist daher denkbar schwer zu kategorisieren und stellt selbst eingefleischte Avantgardisten auf die Probe. Klangkunst bzw. Sounddesign auf der Basis experimenteller elektronischer Musik und verkopftem Ambient kommen der Realität noch am nächsten.
Auf dem 2012 veröffentlichten Doppelalbum "A New Life" bildeten die akustischen Eindrücke eines heranreifenden Embryos im Mutterleib bis hin zu dessen Geburt den konzeptionellen Hintergrund. "Tourette" hingegen widmet sich den Prozessen fehlgeleiteter neurologischer Funktionen. Der Titel des Openers "First Steps" impliziert zudem einen direkten Zusammenhang beider Alben und lässt ein übergreifendes Konzept samt fiktivem, heranwachsendem Protagonisten vermuten. Eine Hypothese, die die über 70-minütige Reise in einen abstrakten Klangkosmos mit ein wenig gutem Willen durchaus zu bestätigen scheint.
"First Steps" schließt stilistisch nahezu nahtlos an "A New Life" an, zeigt jedoch schon erste Symptome der tückischen Erkrankung in Form von harschen und unerwarteten Breaks, die ebenso abrupt auftauchen wie sie wieder verschwinden. Die Probleme der betroffenen Person scheinen jedoch noch erheblich weiter zu reichen, als der Albumtitel suggerieren möchte. Ausgeprägte Schizophrenie mit autistischen Zügen würde der Hobbypsychologe nach wenigen Minuten überzeugt attestieren. Gefangen in einer eigenen Welt aus im Noise verwurzelten Synth-Flächen, bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Field Recordings, polyrhthmischen Electronica aus verschiedensten Soundfragmenten und klassischem Ambient, dringt die Außenwelt nur selten zu dieser hindurch. In "Motion" vermag eine monologisierende Frauenstimme eben dieses Kunststück kurzzeitig zu vollbringen, bevor auch diese kurz darauf immer stärker werdenden Verzerrungen zum Opfer fällt und das Klangbild in gewohnt abstrakte Gefilde abdriften lässt.
"Obsessive Compulsive" dramatisiert schließlich die trotz vorherrschendem Chaos insgesamt entspannte Grundstimmung. Samples von gehetztem Atem und unruhige Herzschlag-Beats schaffen eine beklemmende Atmosphäre, ehe mit dem vergleichsweise kurzen Ambient-Intermezzo "Insensible Crash" ein stilistischer Bruch hin zu den episch anmutenden "The Disease" und "The Hope" vollführt wird. Ein Wandel, der sich gekonnt in das Gesamtkonzept einfügt und dem geneigten Hörer weiteres Futter für ausufernden Interpretationen liefert.
FAZIT: "Tourette" bietet detailverliebte Klangwelten, sowohl zum tranceartigen geistigen Abdriften als auch analytischen Dekonstruieren. Wer mit Werken von FENNESZ oder MURCOF vertraut oder allgemein aufgeschlossen gegenüber experimentellen Soundcollagen ist, wird somit auch an SAFFRONKEIRA seine Freude haben. Alle anderen werden sich weiterhin fragen, was heutzutage alles unter dem Deckmantel der Kunst das Licht der Welt erblickt und kopfschüttelnd ihrer Wege gehen.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.01.2013
Eugenio Caria
Denovali Records
73:39
25.01.2013