Das neueste Zeugnis ihres Schaffens treffend mit „The Migration“ betitelt, agieren die Texaner von SCALE THE SUMMIT mehr und mehr wie Zugvögel, die sich je nach Jahreszeit mal hier, mal dort kurz niederlassen, endlos an den Texturen ihrer Nester zupfen und dann doch wieder weiterziehen. Die inzwischen zu prachtvollen Bauten angewachsenen Nester werden als Relikte des Vergangenen zurückgelassen. Dem interessierten Beobachter dieses Naturspektakels wird wahlweise ein bequemer Sessel oder ein Fernglas angeboten. Beides im Paket scheint sich auszuschließen.
So ist es wahrlich kein Zuckerschlecken, ein Album der Instrumentalisten zu besprechen, muss man doch einerseits bei voller Aufmerksamkeit bleiben, um das verschachtelte Geflecht aus zwei 7-String-Gitarren und einem Sechssaiterbass entwirren zu können und gleichzeitig dem Easy-Listening-Appeal entgehen, der eindeutig hinter dem Gesamtentwurf steht und dem sich freilich jeder, der nicht gerade eine Rezension schreiben muss, bedingungslos ergeben darf. Die entdeckungswürdigen Einzelheiten bekommt man aber nur, wenn man mit beiden Ohren lauscht und die Augen scharf genug zukneift, dass Sergio Leone mit Freude einen Close-Up anweisen würde, doch ist eine derart hohe Konzentration wirklich im Sinne einer Musik, die bei aller Hektik so freundlich und einschmeichelnd wirkt?
Stimmungen wie diese jedenfalls sind im mathematisch angehauchten Progmetal eine Seltenheit; meist dreht sich alles um die dunkle Seite des Mondes, helle Verbündete wie CLOUDKICKER oder ANIMALS AS LEADERS finden sich eher Wenige. Die Neigung, Breaks und komplexe Rhythmuswechsel ob des Wohlklangs einfach zu überhören, ist auch bei „The Migration“ wieder entsprechend verlockend – rein in den Sessel, Sonnenbrille auf, das gute Wetter genießen und dabei nur dumpf wahrnehmen, dass viele hohe Tonlagen angeschlagen werden, die so manche Bratzeinlage in Sachen Gesamteindruck mühelos übertönen.
Auf Album Nr. 4 nimmt das Stop-and-go einen dominanten Anteil ein, soll heißen: Das Quartett spielt sich gerne in einen Rausch, um dann – manchmal abrupt, manchmal sanft – totale Stille einzupflegen und sich auch innerhalb eines Songs neuer Motive anzunehmen. Andere Wege, das Tempo entweder zu verändern oder ganz zu entfernen, sind kurze Soloeinlagen, darunter auch das komplette Stück „Evergreen“, ein schlichtes Basssolo aus lieblichen Flageoletttönen. Als Kontrapunkt wiegeln sich die Kompositionen oft zu Jazz-Skulpturen auf, hier und da verdunkelt sich der Himmel auch mal (Schlussteil von „Narrow Salient“).
Die erste Hälfte ist insbesondere wegen „Atlas Novus“, „The Olive Tree“ und „Narrow Salient“ die prägnantere, die patentierte Gleichförmigkeit einer SCALE-THE-SUMMIT-Platte ist aber auch bei dem erfreulicherweise nicht zu lang ausgefallenen 43-Minüter wieder vorhanden, ob man sie nun begrüßt oder nicht.
FAZIT: Zu viele Worte über „The Migration“ zu verlieren, würde bedeuten, sich der Redundanz reiner Strukturkunde anzunähern, deswegen sei kurz und bündig ein Gesetz formuliert, das auch auf alle Vorgängerwerke zutrifft: Einfacher kann komplexe Instrumentalmusik nicht kanalisiert werden.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.07.2013
Mark Michell
Chris Letchford, Travis Levrier
Pat Skeffington
Metal Blade
43:56
14.06.2013