The Knight On The Shark Beside The Ship Which Is Not Sunken Yet:
Ein Titel wie von einem surrealistischen Dalí-Gemälde. Tatsächlich wurde er von einem kleinen Jungen erdacht, als Titel für seine Zeichnung, die er selbst wenige Zeit später schon wieder vergessen hatte. Als sei diese bizarre Satzkonstruktion einfach ein Produkt des Zufalls, so dass sie normalerweise für immer und ewig als semantisch und semiotisch leeres Artefakt vergessen bliebe, sogar vom Schöpfer selbst.
Nur fiel die Zeichnung ausgerechnet dem Onkel in die Hände, der zufälligerweise genug verknotete Hirnwindungen besitzt, um eine abgefahrene Avantgarde-Band im Geiste Frank Zappas zu unterhalten. Das komplexe Uhrwerk zwischen seinen Ohren war fasziniert davon, welch leere, ungeprägte Gefäße Kinder sind und was sie mit dieser Gabe zum Vorschein bringen können. Die Hirnzellen des Onkels fingen Feuer und beschlugen den absonderlichen Titel gleich mit einer ganzen Flut von Assoziationen. Und das ist die Geschichte von dem bekloppten Coverartwork mit einem einkopierten Ritter auf einem Hai vor einem mit Wasserfarbe realisierten Hntergrund, auf dem der Ausschnitt eines Schiffs zu sehen ist, das noch nicht gesunken ist, weil das Kind sich mit seiner Formulierung dazu entschlossen hat, das Sinken voraussichtlich erst in Zukunft stattfinden zu lassen. Omen, Baby.
Nichts als das Unerwartete ist also zu erwarten. „The Knight On The Shark“ ist Symbol einer Unzurechnungsfähigkeit, nach der sich die Musik von SCHIZOFRANTIK generell zu sehnen scheint, immer in dem Bewusstsein, dass sie von ausgewachsenen Musikern immer nur nachgezeichnet, niemals aber authentisch gelebt werden kann, denn dafür ist die Kultivierung Martin Mayrhofers und seiner Mitstreiter viel zu ausgeprägt, wie überhaupt die eines jeden Erwachsenen. Dennoch verwehren sich die Songs jeder Art von Kategorisierung; in „The Human Slaughter Tango“ etwa wird inmitten harter Gitarren und asymmetrischer Taktfolgen nicht etwa bloß „La Cumparsita“ nachgespielt, der womöglich bekannteste aller Tangos, nein, das Stück selbst hat eigentlich sogar schon 22 Jahre auf dem Buckel und wurde ursprünglich für die ehemalige Mayrhofer-Band MORTALITY geschrieben. So widerspricht alleine dieser Titel den Erwartungen an ein aktuelles Album aus dem weiteren Rock- und Metal-Bereich schon auf mindestens zwei Ebenen.
Gewissermaßen ist „The Knight On The Shark“ damit so etwas wie ein Anti-Konzeptalbum, dessen Konzept es ist, ein solches um jeden Preis zu vermeiden. Quell der Songideen sind daher bevorzugt kognitive Blitzeinschläge und Zufallsprodukte, die anschließend zu breiteren Konstrukten weitergesponnen werden, manchmal aber auch abstrakte Zusammenführungen sich gegenseitig ausschließender Kategorien, so etwa „Nazis on LSD“, eine Kombination, die auf so viele Arten widersprüchlich ist: Kontrolle versus Kontrolllosigkeit, Monotonie versus Kaleidoskopie, Engstirnigkeit versus Grenzenlosigkeit. Mayrhofer fallen dazu SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM-artige Metalverschiebungen ein, die auf gejammten Soli in die Ferne schweben. „Psychic Scars“ (Psychogenese versus Somatogenese) und „Liquid Light“ (bezüglich des Aggregatzustands) sind ebensolche kategorisch unmöglichen Vereinigungen, umgesetzt mit dem Potpourri-Faktor von FANTOMAS, der Unberechenbarkeit von UNEXPECT und der Leichtigkeit harter Klänge von PANZERBALLETT, kombiniert mit dem blechernen Charme einer alten, unbearbeiteten Platte von MEKONG DELTA.
Wie unterschiedlich die Herangehensweisen an die einzelnen Stücke wirklich sind, lässt sich bequem im Booklet nachlesen, denn neben den Songtexten erläutert Mayrhofer jeweils ausführlich den Entstehungsprozess der Ideen, die nicht selten auf Träumen basieren. Trotz der Heterogenität gelingt in weiten Teilen ein spannendes, weil wendungsreiches Album voller hakiger Rhythmen und einprägsamer Riffs: Das Nebeneinander der Reggae- und Tango-Moods, des Funk und der jazzigen Bassläufe harmoniert prächtig mit den meist hart gespielten Riffs, von denen insbesondere die aus „Marching Through The Meadow“ und „Psychic Scars“ hervorstechen (letzteres noch unterstützt von der klagenden Zeile „Acid House“ des stets fragil klingenden Mayrhofer).
FAZIT: What You See Is Not Necessarily What You Get. Der Ritter reitet den Hai ebenso absurd wie Major Kong in Kubricks „Dr. Seltsam“ seinerzeit die Bombe, nicht wissend, was als nächstes geschieht. Einschlagen mag nur der Rausschmeißer „Thanx Dog“ (trotz cooler Cyborg-Hund-Story) nicht so ganz, obwohl das verträumte Solieren darin letztlich auch wieder als ganz eigenes Schema zu begreifen ist, fast so, als hätte man wieder eine ganz neue Platte eingelegt. Und letztlich bedeutet SCHIZOFRANTIK ja genau dies.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.11.2013
Peter Braun
Martin Mayrhofer
Martin Mayrhofer, Joschi Joachimsthaler
Martin Mayrhofer
Andy Lind
Helmut Sinz (Akkordeon)
Gentle Art Of Music
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08.11.2013