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Sciarada: The Addiction

Stil: Drone / Post Rock

Cover: Sciarada: The Addiction

Zuspruch oder Hass, finster wie klassischer Spukfilm, erhebend nur durch ihre kärgliche Gewährleistung nachgerade gelöster Momente - so lässt sich die Musik der Combo von Marco Tuppo (RAVEN SAD, NEMA NIKO) beschreiben, die auf ihrem zweiten Album dort weitermacht, wo 2009 ihr Einstand vorbeigerauscht ist.

SCIARADA haben also immer noch nichts dazugelernt, um die Massen zu begeistern, erweisen der Minderheit von Ambient-, Drone-, und Postrock-Fans jedoch bessere Dienste als auf Scheibe eins, denn Abwechslung ist auch auf dem Feld des Minimalismus möglich, Emotionalität sowies. Die neun Minuten Brummen, Zischen und Anschwellen von "Devon Ptu" bereiten auf das pittoreske Akustik-Stück "Senica Star" vor, das Gitarrist Matteo als wunderbaren Motiv-Zeichner in den Vordergrund rückt, während dahinter verschrobene Alltagsgeräusche nicht stören, sondern tatsächlich eine urbane Atmosphäre beschwören.

Mit "Odessa" entspinnt sich hingegen ein verhaltenes Klopfritual (zu Beginn), ehe Nicoli auf bezaubernde Weise das Feld bestellt: mit ruhigen Klavier-Arpeggios zum Sich-Wiegen, abermals vor einer befremdlichen Geräuschkulisse. Passenderweise klingt das recht kurze "Lazarus Cotext" hinterher wie ein verfremdetes, leises Hupkonzert, verbleibt ebenso unmelodisch wie das Gros der Klangstudien von SCIARADA. Erklingt eine deutschsprachige Bahnhofsdurchssage, fühlt man sich an Brian Enos "Music For ..."-Gedanken erinnert und liegt nicht falsch.

Die Klangforscher aus Verone kennen die alte Schule also und berühren genauso, wie sie abstoßen beziehungsweise bewusst gleichgültig machen können. Das achtminütige Titelstück sowie "Metroshifter" verdeutlichen diesen Dualismus mit materialhaft unrhythmischen Passagen einerseits sowie harmonischen Ansätzen andererseits, wobei dann schon einmal "Twin Peaks"-Feeling aufkommen kann. "N.V." lässt sich daraufhin als Frippertronics mit eingeschlafenen Füßen und weiblichem Säuseln aus dem Orient beschreiben, überführt einen vorzeitlich rituellen Charakter in die Neuzeit, wie es die hypnotischen CLUSTER oder NEU! ebenfalls verstanden.

Nachdem "I" an einen Tag alleingelassen am Rande eines Kinderspielplatzes erinnert (die Beatbox klopft synthetisch in der Mitte des Klanbildes), muss man für "Baratio" noch einmal langen Atem mitbringen: Rauschen, dann mediterrane Gitarren und Kammer-Klavier, das Ganze dann überführt an ein wallendes Bächlein, unter dessen Oberfläche der Drummer in Zeitlupe spielt - und Antonella Bertini raunt leicht jazzig dazu. Ein anstrengendes, aber lohnendes Unterfangen, diese Scheibe.

FAZIT: SCIARADAs Gegenüberstellung von im Ansatz organischem Songwriting mit ebensolchen Elementen und Konserven- beziehungsweise unmusikalischen Klängen ist nicht ohne Reiz, gleichwohl geschmäcklerisch, und lässt den Geist von Kraut und Früh-Industrial auf gelinde Weise im 21. Jahrhundert weiterleben. Guter Stoff also für Wagemutige, die auf PAN-AMERICAN oder Nils Frahm können.

Punkte: 10/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.02.2013

Tracklist

  1. Devon Ptu
  2. Senica Star
  3. Odessa
  4. Lazarus Cotext
  5. Addiction
  6. N.V.
  7. Metroshifter
  8. I
  9. Baratio

Besetzung

  • Bass

    Matteo Sorio

  • Gesang

    Antonella Bertini

  • Gitarre

    Matteo Sorio

  • Keys

    Marco Tuppo, Michele Nicoli

  • Schlagzeug

    Giulio Deboni

  • Sonstiges

    Franceso Tome

Sonstiges

  • Label

    Lizard

  • Spieldauer

    58:34

  • Erscheinungsdatum

    01.06.2009

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