Man darf im Vorfeld gerne gähnen, wenn die nicht totzukriegenden SCORPIONS mit einem Unplugged-Projekt vorstellig werden, zumal man ähnlich zweifelhafte Geschichten (die Band mit Orchester, beziehungsweise das "Acoustica"-Projekt) von den Hannoveranern gewohnt ist, aber diese Aufbereitung des von langer Hand geplanten Konzerts im Amphitheater Lycabettus Teatros zu Athen erweist sich beim Hören und Sehen als unverhofft großer Wurf.
Die Gruppe hat nicht nur altes und dabei nicht immer obligatorisches Material neu arrangiert (Jabs erweist sich im ausgesprochen interessanten Making-Of als Drahtzieher in diesem Zusammenhang), sondern packt auch eigens frisch komponiertes Material aus: Das treibende Doppel aus "Rock 'n' Roll Band" und "Dancing With The Moonlight", die Klavier-Ballade "Love Is The Answer" (Leadgesang Schenker), Meines Akustik-Solostück "Follow Your Heart" sowie das Instrumental "Delicate Dance" - keiner der Tracks ist bloß Makulatur und verblasst gegenüber den vorhersehbar am Ende gebotenen Über-Klassikern, sondern markiert jeweils einen liebevoll gesetzten und bunten Punkt im klanglich wie stilistisch farbenfrohen Programm.
Zu den sonstigen Highlights zählen "Speedy's Coming", das krachende "Hit Between The Eyes", "In Trance" mit der bezaubernden Liedermacherin Catherina "Cäthe" Sieland und sogar "Where The River Flows" neben "When You Came Into My Life", die beide vom zweifelhaften 1996er Album "Pure Instinct" stammen. Das totgespielte "Wind Of Change" erstrahlt mit A-HAs Morten Harket im neuen Glanz, und dass auch REVOLVERHELDs Johannes Strate "Rock You Like A Hurricane" nicht kaputtmachen kann, versteht sich quasi von selbst.
Das Trommel-Duell zwischen James Kottak und dem Perkussionisten Pitti Hecht sollte man gesehen, die echt tolle Orchestrierung für die Achter-Besetzung (Akkordeon, mehrere Gitarren) gehört haben. Ein zweites "Tokyo Tapes" wird es von den SCORPIONS wohl nie geben, aber das braucht man auch nicht, und auch wenn das ebenfalls erhältliche Dreifach-Vinyl reizvoll anmutet: Das Ding hier macht optisch so viel daher, dass man nicht darauf verzichten möchte, nicht zu vergessen Rudolf Schenkers Ausflüge in die Philosophie sowie O-Töne von Fans, die aus aller Welt anreisten, beides zu sehen im wie gesagt kurzweiligen Bonusteil.
FAZIT: SCORPIONS sind steil auf die 50 zugehend wirklich noch für Überraschungen gut. Mit unkonventionellen Arrangements, altem wie neuem Schmelz und einer warum auch immer sympathischeren Ausstrahlung, als sie die Musiker in den hiesigen Medien haben, begeistert das Aushängeschild deutscher Rockmusik insgesamt fast drei Stunden lang in einem spektakulären Ambiente und tut nebenbei etwas für die Verständigung zwischen zwei Nationen, die momentan eine Beziehungskrise erleben.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.12.2013
Pawe? M?ciwoda
Klaus Meine, Rudolf Schenker
Rudolf Schenker, Matthias Jabs, Klaus Meine
James Kottak
Sony
171:23
29.11.2013