Unberechenbarkeit. Die wohl größte Konstante im ULVERschen Klangkosmos. Auf diesem Dreiviertelstünder begeben sich die Norweger um Kristoffer Rygg in düsterklassische Regionen und lockern ihre neueste Selbstneuerfindung mit dezenten Electronica, Soundscapes, Ambient, Krautrock und allerlei Sonderbarem auf. Doch wie kaum bei einem anderen Album macht sich auf "Messe I.X - VI.X" eine Selbstherrlichkeit breit, die den Hörer auf Distanz hält.
Mit dem Opener und mit fast zwölf Minuten dem längsten Track des Sechssönglers versuchen ULVER Atmosphäre zu erzeugen, ergehen sich allerdings in langgezogenem, prätentiösem Dunkelkammerpathos, das lediglich bei Minute siebeneinhalb aufbrechen will und so etwas wie Spannung aufzubauen vermag. Doch sehr bald fällt dieses Gebilde aus Klängen wieder in sich zusammen und plätschert erschreckend uninspiriert vor sich hin. Das wabernde "Shro Shneider" ist mit weniger als der halben Songlänge zwar kompakter geraten, doch was als aszendierende Woge gedacht ist, bleibt ein monotones Etwas, das bestenfalls als Hintergrundbeschallung für experimentelle 80er-Computergrafikanimationen taugt - zwar hört man hier und da ein wenig SCHULZE und JARRE heraus, doch das Aufgreifen jener inspiratorischen Fragmente tönt durchgehend inkonsequent und bewegt sich nicht selten gar in Richtung Seichtigkeit. Das arpeggioschwangere "Glamour Box (Ostinati)" mit dem jähen Umbruch in der Mitte des Songs zeigt diese Idee schon ein wenig spannender verwirklicht, denn statt mit pseudoquälender Alibi-Monotonie wird hier mit Variationen des Kernthemas gespielt, bis am Ende die Eruption ansteht und das Stück würdig abschließt.
Gesang findet man nur in zwei Kompositionen, und eine davon ist "Son Of Man", das einen eigenwilligen Mix aus sakralen Gesängen, Prog, Neoklassik und jazzigen Melodiebögen und Intervallen präsentiert, doch statt der faszinierenden Dramatik, wie man sie von halbwegs vergleichbaren ULVER-Kompositionen kennt, verdirbt Weinerlichkeit und schockierender Pathos den Hörgenuss, sodass man bereits bei Minute vier von acht von einer unangenehmen, latent aggressiven Nervosität gebeutelt wird - gegen Ende fühlt man sich dann gar in ein Privatfernsehen-Historiendrama hineinkatapultiert. Einen krassen Kontrast zu diesem massiven Kitschbomber ist das samplelastige, stockfinstere, effektbeladene "Noche Oscura Del Alma", das ähnliche Schwächen wie der Opener aufweist. Die erste Hälfte des abschließenden, mit Gesang versehenen "Mother Of Mercy" hingegen offenbart wiederum Stärken, die man sich albumübergreifend gewünscht hätte, wenngleich das Stück im Albumkontext fast schon als Pop durchgeht: Starke Melodien, cleverer Songaufbau, faszinierende Breaks und die bezaubernde Melancholie, die selbst beim Coveralbum "Childhood's End" das Herz erwärmte. Doch die Freude hält eben nur bis zur Songmitte an, denn danach suhlen sich die Skandinavier erneut in ihrer neugefundenen Abgehobenheit.
FAZIT: Ist der Band ihr eigener Anspruch zu Kopf gestiegen?
Punkte: 7/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.10.2013
Kristoffer Rygg, Tore Ylwizaker, Jørn H. Sværen, Tromsø Chamber Orchestra
kscope
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27.09.2013