Titel hin oder her, dieses Ding ist ein Soundtrack zum Entdecken und eigentlich nicht cineastisch, sondern sehr songorientiert.
EWERT AND THE TWO DRAGONS aus Eskiltuna bieten zunächst freundlichen Indie im akustischen Gewand, ehe "Good Man Down" etwas schmissiger mit Klatschen und Chorgesang daherkommt - typischer Stoff für die Klientel von Justin Vernon und Sam Beam, dementsprechend hübsch, aber wenig originell. Wie es besser geht, zeigt die ergreifende Performance ihres Landsmanns Daniel Norgren. Ähnlich entbehrlich wie die Opener, aber stilistisch ein Fremdkörper auf der Zusammenstellung, ist der EP-Titelsong "Just A Girl" von Mélanie Pain, die beim Label Fierce Panda mit ihrem naiven Electro Pop besser aufgehoben ist als in der hier heraufbeschworenen Wüstenkulisse. Vergleichbar deplatziert: Die Briten-Schnösel SCAMS als Rauswerfer. Die Treffer erfolgen auf "Desert Diner" jedoch in höherer Dichte als solche verhältnismäßigen Aussetzer.
Nach Deutschland: Das Hamburger BRIXTONBOOGIE mixt auf ansprechende Weise R'n'B mit etwas Elektronik und viel Blues, wohingegen SUPER700 vermutlich schon etwas bekannter sein dürften nach drei Alben bei Motor Music. Ihr an Death Cab For Cutie angelehnter Dream Pop riecht nach Hauptstadt, hat aber eine höhere Halbwertszeit als die Musik vieler anderer Berliner Erscheinungen, erweist sich also auch im Kontext dieses Samplers nicht als Eintagsfliege, was nicht zuletzt an Ibadet Ramadanis charismatischer Stimme liegt. "21st Century Girl" ist sowohl der Hit der Gruppe (Lana Del Reys Tragik trifft auf erdige Instrumentierung) als auch dieser Compilation. Das saarländische Duo PRETTY LIGHTNING hingegen gibt sich noch bodenständiger und basischer mit seinem live erhebliche Sogwirkungen erzielenden Psych hypnotischer Art.
GIPSY TRAIN stammen von den Faröern und klingen wie eine aufgeräumte Version von KAIZERS ORCHESTRA oder GOGOL BORDELLO, Uni Reinert Debess ist einer der bekanntesten Singer-Songwriter von den Inseln und rangiert mit seinem streng amerikanisch klingenden Geschrammel (Percussion, viel Mundharmonika, bemüht kernig gesungenes Englisch) eher im Mittelmaß. Landsmann Sigmund macht es da mit seinem Delta-Blues bei stimmig unterbelichteter Produktion ungleich besser und darf sich diesbezüglich mit Alternative-Country-Star M. Ward abklatschen ... und noch etwas über CALEXICO zu schreiben, käme dem sprichwörtlichen Import von Tequila nach Mexiko gleich. "Puerto" könnte mit seinen Mariachi-Trompeten von dort stammen, ist aber in jedem Fall auf der immer noch aktuellen Scheibe "Algiers" zu finden.
Zu den Hoffnungsträgern im Einzelkämpfer-Bereich - ein bisschen VELVET UNDERGROUND ist allerdings auch drin - darf man den jungen Iren James Vincent McMorrow bezeichnen, wenn man seinen Beitrag gehört hat: "If I Had A Boat" verbreitet mit Gitarrenschlieren sowie hoher Gesangsstimme eine ähnliche Stimmung wie die Musik von Landsmann Declan de Berra und macht Lust auf "Early In The Morning", das bisher einzige Album des Künstlers. Howard Elliott Paynes 2009er Single "Come Down Easy" transferiert das Liedermacher-Konzept unterdessen in einen Band-Kontext mit Fiedel, Fernweh-Gitarre und kraftvoller, weiblicher Begleitstimme. Der in Deutschland lebende Exil-Kanadier Martin Gallop lässt es ähnlich angehen auch wenn er minimalistischer arrangiert und vor allem auf seine Texte setzt.
THE SWAYBACK aus Denver lassen sich grob zwischen MADRUGADA, JOY DIVISION und Shoegaze ansiedeln, wobei vor allem Eric Halborgs Stimme für die schon gut zehn Jahre aktive Combo einnimmt ihr zweiter, zehnminütiger Beitrag ist eine reine Klanglandschaft mit Drone-Anmutung und eher grenzwertig auf diesem ansonsten wie erwähnt angenehm liedhaften Sampler. Geographisch weiter entfernt von den Amerikanern als in stilistischer Hinsicht sind die Niederländer und Belgier des Kollektivs DRIVE LIKE MARIA, das allerdings für ihre Region fast typische Stoner-Spitzen hinzunimmt; der Refrain von "Black Horses" hat letztlich eine Menge Josh Homme in der Stimme wie den Riffs. Ben Caplan hingegen, hauptamtlich bei THE CASUAL SMOKERS, scheint hingegen Tom Waits verschluckt zu haben, ist mit seinen knorrigen Räuberpistolen narrativer Art aber definitiv mehr als nur eine Hörrunde wert.
Gregory Porter, der das Titelstück seines aktuellen Albums zur Diskussion stellt, ist in Sachen Soul mit jazziger Note nicht nur im Musikgeschäft ein älterer Hase, sondern auch angehörs seines positiv antiquierten Crooner-Sounds. Der Italiener Luca Sapio und seine Combo stehen bei ähnlicher Grundausrichtung an einer Schnittstelle zur Rockmusik, gleichwohl immer noch äußerst elegant und mit einer durch Van Morrison geschulten Leadstimme. Spätestens ach seinem Beitrag muss man Susanne Rau vom Musikverlag, die den Sampler zusammengestellt hat, überdurchschnittliches Fingerspitzengefühl attestieren: Mit dem neuen Track des in Untergrundkreisen legendären Detroiter Gitarristen Dennis Coffey pflanzt sich die vom ersten Song an stringent herausgearbeitete Stimmung weiter fort.
FAZIT: Selten einen so hochwertigen Sampler erhalten, der obendrein mit sichtlicher Liebe zum Sujet ersonnen wurde. Wer sich vor allem mit US-Spielarten von (nicht nur) Gitarrenmusik auseinandersetzen möchte, liegt hier goldrichtig und kann nicht wenige neue Freundschaften schließen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.07.2013
Reloaded / Believe Digital
101:11
02.08.2013