Je zwei LPs beziehungsweise Doppel-LPs auf jeweils schwarzem, weißem, transparentem und grauem Vinyl sowie auf 400 Einheiten limitiert, nicht zu vergessen eine Bonus CD - all dies veröffentlicht das britische Kleinstlabel Fruits De Mer in hoher Qualität für Liebhaber absonderlicher Klänge ... garantiert unerhört!
Craig Padillas zwei eröffnende Beiträge stehen völlig im Zeichen von Klaus Schulze: verträumte Synthesizer Studien mit Retro-Flair dank Univox-Percussion (höre Jarrés "Oxygène") und einem erst meditativen (Walgesang klingt ähnlich), dann sachte nach vorne drängenden Charakter, wobei "Secret Language" trippiger daherkommt als, "Full Moon World", eine Soundtrack-Arbeit von 2005. Die Waliser SENDELICA hingegen bestehen im Kern aus zwei Musikern und haben ihr erstes Feature auf Tournee eingespielt. Das Titelstück dieser Mega-Compilation benötigt rund zehn von 24 Minuten, bis sich ein taumelndes Bassmotiv herauskristallisiert und das Gros der restlichen Spielzeit bestimmt, wobei weitere Instrumente (Saxofon, Flanger-Gitarren, Keyboards) die Basis umspielen beziehungsweise -spülen, denn tatsächlich klingt der Track irgendwie "wässrig" und klingt hübsch entspannt aus wie Meeresbrandung. Weiterhin sind sie mit "80% Neon Bridge Of Sighs" vertreten, einem kurzen und eher Füllmaterial darstellenden Ambient-Stück.
Ob nun die Einmann-Armee CAT FREQUENCY oder Kamille Sharpadinov von den Stonern THE GRAND ASTORIA, deren Beitrag hier wie ein stilistischer Querschläger anmutet, als Klangforscher unter dem Namen ORGANIC IS ORGASMIC, ob untypischer Postrock wie von ZENITH: UNTO THE STARS oder polyrhythmische Verschiebungen von Russlands Vorzeige-EXPORT VESPERO: "Strange Fish" ist in puncto Spannung nicht zu überbieten, gleichzeitig da die Songauswahl auf stilistische und stimmungsmäßige Stringenz hin getroffen wurde: Das träumerische Klingklang von THE VOX HUMANA, (Dylan Line von SOFT HEARTED SCIENTISTS) die einfühlsamen Studien seines Weggefährten James McKeown, dessen kratiges "Ursa Minor" zu den Höhepunkten der Zusammenstellung gehört und den Beginn einer atmosphärischen Amplitude in einstweilen härtere Gefilde.
Ansonsten hält die Plattenfirma auf dieser LP-Serie manche Premiere oder einmalige Aktion fest: ELEVATION steht für Michael Padilla von den Amerikanern THE SOFT BOMBS, der Field Recording aus der Wüste von Nevada einreicht, aufgenommen in der Nacht zum Jahrtausendwechsel. DEAD PYLONS aus dem Umfeld von HI-FICTION SCIENCE hingegen demonstrieren auf dieser Zusammenstellung ihre ersten Werke überhaupt, und natürlich drängen sich Schulterschlüsse anlässlich solcher Stelldicheins richtiggehend auf: "Asioli", das mit Valerio Cosi von AMBER LIONS und dem Indie-Kammermusiker Tiziano Bianchi aufgenommen wurde, weist JULIE'S HAIRCUT als eine der erfreulichsten Überraschungen aus. Die übrigen Einzelkämpfer könnten dessen ungeachtet nicht unterschiedlicher kllingen, denn zwischen Jay Tausig und Beaus Video-Soundtrack-Stück - der Mann hatte in den Siebzigern einige Veröffentlichungen via Dandelion - liegen Welten, die D.B. Turi, angeblich ein Relikt aus den Sechzigern, gleichsam weit hinter sich gelassen hat, wie es scheint.
Obligatorische Freakouts prägen vorübergehend das Bild, Saxofon sowie Mellotron (TEMPLE MUSIC) lassen Jazzrock beziehungsweise die Hochphase des Prog der Siebziger aufleben, und wenn THE GOLDEN CAKE COMPANY, Simon Lewis' (PHOENIX CUBE) Outlet für Improvisationskunst, in die Tasten langt, ziehen quasi kompositorisch freie TANGERINE DREAM am Ohr vorbei. Berliner Schule, wie THE BORDELLOS sie exerzieren (laut Band ein für sie untypisches Unterfangen), passt ebenfalls in diesen Kontext, und dass MECHANIK aus Spanien mit ihrem Namen MAGMA-Assoziationen wecken, die nicht erfüllt werden, steht bezeichnend für die Compilation - erwartet das Unerwartete.
FAZIT: Die frühen Sampler des Eclipsed-Magazins zu Zeiten, als die Kollegen noch nicht im Konsens angekommen waren, kommen beim Fallenlassen in die Musik auf "Strange Fish" in den Sinn. Wem an hemmungslosem Forscherdrang in der Musik - mit Retro-Flair oder nicht - gelegen ist, der muss hierfür zwar einiges löhnen, wird aber dafür in jeglicher Hinsicht belohnt. Fruits De Mer haben einen Referenz-Sampler für aktuelle psychedelische, krautige Musik vorgelegt.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.05.2013
Fruits de Mer
400+ Minuten
24.05.2013