„Now What?“ fragen gerade DEEP PURPLE, mit ihrem singenden Frontmann IAN GILLAN an der Spitze, in die Runde. Und erreichen mit dieser altersschwächlich doch etwas bedenklich vorgetragenen Coverdale-Stimme weltweit in den Hitparaden-Listen von Null auf Eins eine eindeutige Antwort. Ich denke, so etwas nennt man Nostalgie. Hardrock-Nostalgie! Doch trotzdem ist das, was einem auf der „Little Box 'O' Snakes“ des singenden Anti-GILLANS, nämlich DAVID COVERDALE, für beinahe den gleichen Preis der neuen Purple-Scheibe erwartet, deutlich authentischer.
WHITESNAKE kombinieren nunmehr gängigen Rock'n'Roll und Blues mit dem Hardrock von DEEP PURPLE sowie stellenweisen poppige Melodien. 8 CDs, nicht gerade randvoll, sondern alle mit einer Laufzeit zwischen 35 und 50 Minuten versehen, spiegeln nicht nur den gesamten Studio- und Live-Katalog der Jahre 1978 bis 1982 von WHITESNAKE, hinter der sich die abtrünnigen DEEP PURPLE-Mannen JON LORD, IAN PAICE & DAVID COVERDALE verbergen, wider.
Mit der EP „Snakebite“ (1978) gibt’s gleich noch eine kleine Rarität mit dazu, die noch eine gehörige Portion DP-Härte aufweist und auf der JON LORD und IAN PAICE noch nicht vertreten sind. Allerdings fällt die EP bei den Freunden des Hardrocks gehörig durch, obwohl sie mit „Ain't No Love In The Heart Of The City“ ein echtes WHITESNAKE-Highlight enthält, das bei Live-Auftritten schon seit Ewigkeiten als Standard gilt.
Nachdem sich 1976 DEEP PURPLE vorerst aufgelöst hatten, versuchte es Coverdale, der in der Mark III & IV Purple-Besetzung („Burn“ 1974 / „Stormbringer“ 1974 / „Come Taste The Band“ 1975 sowie die Live-Alben „Made In Europe“ & „Last Concert In Japan“) gesungen hatte, vorerst mit einem Solo-Album, das 1977 den richtungsweisenden Namen „White Snake“ trägt und sich deutlich an der bis dahin so erfolgreichen Musik seiner aufgelösten Stammband orientiert, was wohl auch daran liegt, dass die Produktion dieses und des nachfolgenden Solo-Albums „Northwinds“ (1978) von ROGER GLOVER, einem Purple der Mark-II-Besetzung, der ab 1979 bei dem zweiten 1975 gegründeten Purple-Ableger RAINBOW von RITCHIE BLACKMORE einsteigen sollte, übernommen wird.
„Trouble“ wird dann 1978 der erste echte WS-Longplayer, welcher allerdings neben dem Hard- auch eine gehörige Portion Blues-Rock bietet. Vielleicht nicht die gelungenste Kombination, denn auch diese Scheibe bleibt nicht ganz zu Unrecht ziemlich unbeachtet, was sich allerdings mit der folgenden Studio-Scheibe, diesmal zurecht, gehörig ändern sollte.
Mit „Lovehunter“ (1979) provozierten die britischen Hardrocker das prüde Amerika schon wegen seines gemalten Covers, auf dem eine nackte Frau ekstatisch auf einer Schlange reitet. Das reichte in den USA schon für einen Skandal aus, der dazu führte, dass „Lovehunter“ echten „Trouble“ bereitete und nur in einer neutralen Schutzhülle über den Ladentisch gehen durfte. Doch Skandale beleben ja bekanntlich das Geschäft und zumindest in England erjagte sich dieses musikalische, nicht gerade jungfräuliche Liebesspiel den 29. Platz in den Verkaufs-Charts, wobei auch nicht mehr störte, dass auch auf diesem Album eine gehörige Portion Blues-Rock aufgetischt wird.
„Ready An' Willing“ (1980) entert dann mit einem 6. Platz die Top Ten Englands, womit WHITESNAKE, wohl auch durch ihren immer stärkeren Blues-Verzicht, endgültig im melodiösen Hardrock mit einigen Pop-Allüren angekommen sind, wofür ganz besonders der Eröffnungstitel „Fool For Your Loving“ mehr als ein Liedchen zu singen weiß. Und so werden WHITESNAKE immer mehr die melodiösere Alternative zum anderen, deutlich rockigeren DEEP PURPLE-Ableger RAINBOW, wo es RITCHIE BLACKMORE noch immer richtig krachen lässt. Wer den „Speed King“ oder „Smoke On The Water“ damals mehr mochte, der griff zu RAINBOW, wem mehr „Anyone's Daughter“ oder „Women From Tokyo“ gefiel, der ließ sich von der weißen Schlange verführen.
„Come An' Get It“ (1981) verfehlt dann nur noch knapp die Spitzenposition der UK-Top-Ten und hält sich zwei Wochen auf Platz 2. Kein Wunder, denn dieses Album ist eine herrliche Mischung aus Rock und Melodien, die sich beim Hören sofort festsetzen. Mit „Child Of Babylon“ ist zugleich auch mein WS-All-Time-Favorite mit enthalten, der auch eine gehörige Portion einiger legendärer DEEP PURPLE-Klassiker in sich trägt. Unfassbar ist außerdem, dass dieses Album im prüden Amerika nicht wieder einen infernalischen Empörungsschrei, samt sexistischem Skandal auslöst, so in der Art: „Pfui, Teufel, das Maul der Schlange ist doch eindeutig eine Vagina!!!“ Na ja, vielleicht schauen die Amis ja in diesen Bereichen nie so genau hin, da sind ein paar weibliche Brüste eben schon deutlich verfänglicher.
„Saints & Sinners“ (1982) vermag dann leider die Klasse des Vorgängers nicht mehr zu halten – auch fehlen wirkliche Hits darauf oder sind so extrem poppig, wie beispielsweise „Here I Go Again“, dass man sich etwas verwundert die Frage stellt, ob das wirklich noch WHITESNAKE oder eine typische 80er-Jahre-Pop-Combo sind, die in jeder Disco hoch- und runter-gedudelt wurde. Trotzdem gab's, wohl gerade wegen diesem Hit, Platz 9 in England und 14 in Deutschland.
Dem gegenüber sind die beiden Live-Alben dieser Box mit „Live At Hammersmith“ (1978), aber auch „Live...In The Heart Of The City“ (1980) richtige Kracherscheiben, auf denen gehörig die Post abgeht, selbst wenn das Hammersmith-Album stellenweise noch eine DEEP PURPLE-Gedenkkonzert zu sein scheint. Live ist eben live – und das gilt wohl für DEEP PURPLE genauso wie für die beiden Ableger!
FAZIT: Mit dieser „Little Box 'O' Snakes“ wird zum 35-jährigen Bandjubiläum von WHITESNAKE die kompletten „Sunburst Years“ der Jahre 1978 bist 1982 abgedeckt – also die Phase, in der die Mannen um Mr. Coverdale noch nicht ihre Super-Hits „Is This Love“ und „Here I Go Again“ zum besten gaben. Dafür aber darf man besonders der bluesige Seite von WHITESNAKE angetan lauschen und bekommt zusätzlich ein 16-seitiges Booklet, das tatsächlich alle Texte beinhaltet. Bonus-Titel oder Ähnliches sucht man allerdings vergebens.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.06.2013
Neil Murray
David Coverdale
Micky Moody, Bernie Marsden
Jon Lord, Pete Solley (nur 1978), Brian Johnston (nur 1978)
David Dowle, Ian Paice, Cozy Powell
EMI Records / Sunburst Records
306:35
10.05.2013