Willkommen im „Hafen der Träume“, den man nicht wie den der Perlen mit Bomben überschüttet, sondern in dem die anlegenden Schiffe solch klangvolle Namen wie ANTHONY PHILLIPS, GENESIS, ENID oder GREENSLADE tragen und ihre heiße, musikalische Fracht aus Keyboards aller Art, Bässen, Gitarren, Schlagzeugtürmen, Percussion, Violinen und Flöten besteht. Ein Hafen, über dem eine Nixe wie auf der Loreley thront, die aber nicht ein einziges Schiff versenken kann, da sie nicht singen, sondern nur schön sein darf – genauso wie die Musik auf „The Dream Harbour“ von WLLOWGLASS. Endlich mal ein Album, das sogar ein bisschen nach den neuen/alten Retro-Prog-Skandinaviern FLOWER KINGS oder KAIPA, aber eben ohne jeglichen Gesang, klingt. Ein schön ruhiger Traumhafen, den wir da mit unserem CD-Player ansteuern.
Besonders durch den jazz-rockigen Violineneinsatz des eröffnenden Longtracks fühlt sich der Hörer anfangs sogar an das MAHAVISHNU ORCHESTRA erinnert, welches am Ende sogar verträumte KING CRIMSON-Passagen bereit hält. Eine paar herrliche und zugleich völlig neue Klangfarben im Weiden-Glas-Spektrum! Und bei der anschließenden, leider viel zu kurzen Intermission wird der besagte KC-Eindruck sofort wieder aufgegriffen, indem die Flöte verdächtig nach dem Mondkind vom königlichen Crimson-Hofe klingt.
Für solche, beinahe etwas radikal erscheinende Veränderungen muss es doch Gründe geben – und die gibt es garantiert, zwei definitiv an der Zahl. Beide haben einen Namen: HANS JÖRG SCHMITZ – auch bekannt als der KING OF AGOGIK – und STEVE UNRUH – der geigende „DAVID CROSS“ der hervorragenden US-Prog-Band RESISTOR, der demnächst wohl auch live und im Studio bei UNITOPIA sehr aktiv sein wird.
Doch schneller als einem lieb ist, wird aus dem „Call Me Moonchild“-Eindruck dann der klassische „Foxtrot“, bei dem man ganz „England für ein musikalisches GENESIS-Pfund“ kaufen kann. Bereits „Interlude No. 2“ erscheint wie eine STEVE HACKETT-Referenz an „Horizons“. ANDREW MARSHALL zupft darin verträumt die Saiten seiner akustischen Gitarre, bevor dann „The Dream Harbour“ mit ganz viel Mellotron auf die Retro-GENESIS-Reise geht, bis „Helleborine“ wieder genau dort weiter macht, wo „Interlude No. 2“ aufhörte, diesmal aber mit Flöten- und Mellotron-Verstärkung. Fast sehnsüchtig kommt im Verlauf der 50 Musik-Minuten der Wunsch auf, dass gerade die Reserven, die im Grunde in den beiden Neuzugängen SCHMITZ & UNRUH ruhen, deutlich mehr ausgenutzt werden sollten. HANS JÖRG SCHMITZ, besser bekannt als der KING OF AGOGIK – ein wahrer Trommel-Wizzard, der nicht nur auf seinen Solo-Alben, sondern auch bei der Arbeit an diesem Album, mehrfach unter Beweis stellte, <a href=" http://www.youtube.com/watch?v=fvsKMmBu1dM " rel="nofollow">mit welch komplexen „Schlagtechniken“ er seine Schlaginstrumente bearbeiten kann</a> – erhält deutlich zu wenig Raum für wenigstens ein paar Beweise seiner Fähigkeiten, sodass wir auf „The Dream Harbour“ es höchstens mit einer Ruhe vor dem Sturm zu tun bekommen, doch der Sturm zieht vorbei, ohne auszubrechen. STEVE UNRUH erhält zwar mehr musikalische Spielräume, besonders für die Violine, doch auch er ist dem viel zu verhaltenem Tempo des Traumhafens unterworfen, dem man viel öfter auch mal ein beängstigend-aufrührerisches Alb vor dem Traum wünscht.
Auch das Ausblenden einiger Songs geht einem auf die Nerven und leider sogar die Produktion, die nicht immer ausgereift klingt und an einigen Stellen regelrecht unprofessionell erscheint, wenn die Lautstärke schwankt oder die tiefen Töne zu sehr grummeln. Hier hätte ANDREW MARSHALL, begnadeter Multiinstrumentalist und Mastermind hinter WILLOWGLASS, wohl besser wieder, wie bereits auf dem ausgezeichnet abgemischten Vorgänger-Album „Book Of Hours“, auf ein externes Mastering zurückgreifen sollen, getreu dem Motto: „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Gerade in Anbetracht der beiden neuen Musiker, die ja ihre Beiträge ebenfalls extern beisteuerten, weil sie „The Dream Harbour“ nicht gemeinsam und gleichzeitig in einem Studio einspielten, wäre diese Entscheidung klüger gewesen. Nicht desto Trotz ist die Musik wirklich mit einer Vielzahl von traumhaften Momenten versehen, die mal wieder so richtig die Lust auf unsere alten GENESIS-LPs wecken. Und sie weckt außerdem unsere Neugier auf ein Album, das derzeit im Entstehen ist. 2014 gibt’s, soweit ich es aus relativ sicherer Quelle erfahren konnte, ein neues KING OF AGOGIK-Album, auf dem erneut STEVE UNRUH mit dabei sein wird. Und hier würde ich mein letztes Hemdchen dafür verwetten, dass dann garantiert der Sturm, den ich bei WILLOWGLASS noch vermisse, (vielleicht sogar stellenweise mit Brachialgewalt) losbrechen wird.
FAZIT: Wer seinen Anker im Hafen der Träume auswirft, der wird in ruhiger See sich ganz seinen Träumen hingeben, die am Ende ein GENESIS-Dèjá-vu sind.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.06.2013
Andrew Marshall
Andrew Marshall, Steve Unruh
Andrew Marshall
Hans Jörg Schmitz
Steve Unruh (Violine & Flöte)
Eigenvertrieb / Just For Kicks
50:35
31.05.2013