Manchmal ist die entscheidende Frage bei einem Review, welche Messlatte man eigentlich an das vorliegende Album anlegen will. Nehmen wir hier die Casting-Show-Autoradio-Konsumenten-Latte oder die Ich-Bin-Auch-Musiker-Und-Habe-Meine-Vorstellungen-Von-Sound-Latte?
Versuchen wir an YENs dritten Album „Into the Sun“ mal den Spagat. Zunächst einmal ist der Titel „Into the Sun“ ein großer Song von GRAND FUNK RAILROAD, seine Benutzung damit im Prinzip ein Sakrileg, das wird der Radio-Hörer aber eh nicht wissen, also geschenkt. Namensgeberin Yen ist nun ein klein wenig bekannt, weil sie sich in einer Casting-Show Stefan Raabs zur Abstimmung gestellt hat. Die dahinter stehende Geisteshaltung ist suspekt, wenngleich man konstatieren muss, dass Raab wenigstens keine Fremdscham-Sendung abliefert. Und so ist es auch nicht wirklich verwunderlich, dass Yen eine für Popmusik beeindruckende Stimme hat. Genau diese spielen YEN nämlich zielgruppengerecht auf „Into The Sun“.
Ich will keine Hehl daraus machen, dass meine Grindcore-gestählten Ohren durchaus gute Popmusik zu schätzen wissen und so muss man YEN über weite Strecken Respekt zollen, da sie ein gutes Gespür für eingängige Melodien und Refrains haben. „We Are One“ hat das Potential zu einem echten Rock-Radio-Hit, auch wenn meine Ohren im Refrain immer wieder „Won“ anstatt „One“ hören. Das Spektrum von Yen und YEN umfasst Nummern, die von SKUNK ANANSIE- zu deren Hochphase - bis zur Laszivität einer Shirley Manson bei „Black Waterfalls“ reichen, selbst vor Balladen mit Plastikstreichern schreckt man nicht zurück.
Manches mal ertappt man sich aber bei dem Gedanken, das eine oder andere hier schon mal gehört zu haben. „Yearning“ erinnert frappierend an die Überballade „Where The Wild Roses Grow“ von Nick Cave und Kylie Minoque unter Verzicht auf den Herren, manches wirkt ein wenig zu dick aufgetragen, da will die Band ganz offensichtlich zeigen, was sie alles drauf hat. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, gerade Saiteninstrumente und Stimme sind über jeden Zweifel, die Gitarre röhrt häufig genau im richtigen Moment mit einem druckvollen Solo, das Schlagzeug indes ist an Banalität und Einfallslosigkeit kaum zu übertreffen.
Nehme ich nun meine persönliche Messlatte, macht den kleinen Unterschied von einer zweifellos guten zu einer genialen Popscheibe in diesem Fall einfach der zu perfekte Sound aus. Das hört sich im ersten Moment vielleicht paradox an, aber die durchgehende künstliche Sterilität lässt zwar jeden Ton jedes Instrumentes technisch perfekt klingen, nimmt den durchaus emotionalen Songs aber viel von ihrer Lebendigkeit und Seele. Der Drumsound klingt leider viel zu oft wie aus dem kleinen Japaner im Studio, der Gesang klingt oft etwas flach und tot, klangliche Perfektion macht eben keine perfekte Musik. Irgendwie fehlt hier noch der allerletzte Kick.
FAZIT: YEN können großartige rockige Popsongs mit ordentlich Airplay-Potential schreiben. „Into The Sun“ könnte fantastisch sein, wenn nicht der latente Hang zur Überproduktion hier viel von Gefühl und Seele plattmachen würde, für das Autoradio reicht es aber allemal und genau da gehören YEN auch hin.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.01.2013
Steffen Fütterer
Yen-Hwei Anetzberger
Christian Fütterer
Benjamin Heckmann
MX Records
52:34
25.01.2013