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Reviews

Abel Ganz: Ganz Abel

Stil: Kosmischer Prog

Cover: Abel Ganz: Ganz Abel

Aus der der wechselhaften Bandgeschichte von ABEL GANZ könnte man ein eigenes Konzeptwerk basteln. 1980 gegründet, 1983 die erste LP, durchgehalten bis 1995, dann Auflösung um 2001 wieder aufzuerstehen. Dazwischen stetige Musikerwechsel, die zu einem Album führten, dass von frühen Mitgliedern selbst als „Unfall“ bezeichnet wurde („The Defeaning Silence“), eine Notgeburt, die sowohl musikalisch wie besetzungstechnisch kaum auf Anfangsjahre verwies. Auch der aktuelle Stab hat nur noch wenig mit den Anfängen gemein, die Gründungsväter Hugh Carter und Hew Montgomery tauchen immerhin als Gastmusiker auf.

ABEL GANZ waren und sind eine Band aus der zweiten Reihe, die zwar ähnlich wie MARILLION dem Prog Unterkunft boten, als niemand ihn mehr haben wollte. Als er später in neue und besser bestellte Gemächer zog, belegten alsbald PENDRAGON, PALLAS, IQ, SPOCK’S BEARD und ein paar andere Konkurrenten die größeren Zimmer; MARILLION bezogen eine komplette Etage. Pech hatte man sicherlich mit der Position des Sängers. Zwar war der Start mit Alan Reed gelungen, doch als PALLAS klopften, öffnete Reed erfreut und schloss die Tür von außen. Er verriegelte zwar nicht und blieb ABEL GANZ im Folgenden freundlich verbunden, unterstütze die Band bei einzelnen Songs, doch als Identifikationsfigur war er Geschichte. So blieb ABEL GANZ eine Art kleiner, anämischer Brieffreund aus Glasgow, der manchmal zu Besuch kommt und mit dem man ganz toll ‚Mensch ärger dich nicht‘ spielen kann. Für ein paar Runden.

Ein weiteres Kennzeichen der Band waren die gerne etwas käsigen Keyboardsounds und die recht schlichten Melodien, die sich zwar hörbar an GENESIS der mittleren Jahre, CAMEL (ganz ohne Canterbury-Touch) und ein klein bisschen PINK FLOYD orientierten, aber – von gelegentlichen Höhenflügen abgesehen - ziemlich blass blieben. Eine anziehende Blässe allerdings, die dazu führte, dass man plötzlich doch den ein oder anderen (oder alle) Tonträger daheim hatte und beizeiten sogar mit Freude hörte.

Das gilt auch für das aktuelle, titellose Werk. Die stetigen Musikerwechsel und der Lauf der Zeit bedeuten zwangsläufig Wandlung. Die 2014 ihren Höhepunkt erreicht. „Abel Ganz“ (das Album) klingt, als hätte eine Musikschule beschlossen, ein progressives Großwerk einzuspielen. Und jede Abteilung hat Mitspracherecht.

Die Klassik beginnt, besinnt sich aber darauf, dass man James Bond ganz gerne mag, danach ist die Gitarrenklasse dran, die im Steve Hackett-Gedächtnis-Flügel untergebracht ist, wo man gerne bei Anthony Phillips vorbeischaut. Zwischendurch meldet sich die Fachkraft für ambitionierte Kinderlieder erfolgreich zu Wort, ein kleiner, mysteriöser bulgarischer Frauenchor (nach Japan-Urlaub) schaut vorbei und irgendwann packt Doc Sloan seine Pedal Steel aus und die Country & Western-Klasse darf reinhauen. Sie üben noch, haben aber schon ein paar Stunden hinter sich; und wenn’s arg albern wird, klatscht die breit aufgestellte Prog-Abteilung Keyboard-Tupfer drauf. Nicht groß, brutal oder von zwingender Notwendigkeit – aber mit herzigem Charme. Lediglich der Typ, der die Grille oder Kröte spielt, sollte aus dem Fenster fliegen („Recuerdos“).

Brüche bleiben nicht aus, werden aber geschmackig aufgefangen. Dies ist auf bescheidene Weise sehr mutig. Denn die progfremden Stile (besonders das Chanson-Country-Massaker „Thank You“) werden Liebhabern derselben nur ein müdes Lächeln entlocken, progaffines bündelt sich im von Tony Banks, Rick Wakeman und Steve Hackett ausgestatteten Übungsraum zu einem Strauß, dessen Bukett nicht gerade einzigartig ist. In der Melange und seiner Unbedarftheit ist das Gesamtwerk allerdings große Kunst. Von den Holzstühlen beim Jahresabschlusskonzert einer engagierten Musikschule aus betrachtet.

FAZIT: Gulliver reist weiter. Durch Jahrzehnte, Stile und personelle Veränderungen. Am Ende betrachtet er sein disparates Werk, und stellt fest wie gut es doch zusammen passt. Irgendwie. ABEL GANZ. Eher Kain und zersplittert. Ob das jetzt wagemutig, innovativ oder bescheuert ist, lassen wir mal dahingestellt. Aber eine derart uncoole Mischung aus Halbgarem, Durchdachtem, Rückwärtsblickendem und Grenzüberschreitendem, ohne Rücksicht auf Gewinnmaximierung, auf die Beine zu stellen, nötigt Respekt ab und ist auf freundliche Art der letzte Schrei. Erhört ihn!

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.10.2014

Tracklist

  1. Delusions of Grandeur
  2. Obsolescence
  3. Pt.i Sunrise
  4. Pt.ii Evening
  5. Pt.iii Close Your Eyes
  6. Pt.iv The Dream
  7. Pt.v Dawn
  8. Spring
  9. Recuerdos
  10. Heartland
  11. End of Rain
  12. Thank You
  13. A Portion of Noodles
  14. Unconditional
  15. The Drowning

Besetzung

  • Bass

    Stevie Donnelly

  • Gesang

    Stuart "Mick" MacFarlane, Denis Smith, Joy Dunlop, Hugh Carter

  • Gitarre

    Stuart "Mick" MacFarlane, Davie Mitchell, Wiliam Barbero, Hugh Carter, Jerry Donahue, Stevie Lawrence, Iain Sloan

  • Keys

    Jack Webb, Stephen Lightbody, Hew Montgomery

  • Schlagzeug

    Denis Smith, Ed Higgins

  • Sonstiges

    Frank van Essen (violin), Viola Sarah Cruickshank (oboe), Fiona Cuthill (recorder), Stevie Lawrence (whistle), David MacDonald (sax), Andrew Brodie (sax), Malcolm Jones (accordion), Tom MacNiven (tp), Alastair McGhee (tp, flugelhorn), John Milne (tuba, trombone)

Sonstiges

  • Label

    Eigenproduktion/Just For Kicks Music

  • Spieldauer

    72:51

  • Erscheinungsdatum

    08.07.2014

© Musikreviews.de