Zeit kriecht, fließt, fliegt. Auf AISLES drittem Longplayer, dem konzeptionellen „4:45 AM“ springt sie herum. Der Titelsong läutet den Zeitreigen mit Schlaflosigkeit ein, bevor das folgende Instrumental „Gallarda Yarura“ eine Dreiviertelstunde zuvor einsetzt, um zu den leeren Versprechungen einer Radioshow zur Frühstückszeit (‚8:00 AM‘) überzuleiten. So geht es hin und her, durch eine Welt graubrauner Farben, die das ausführliche Booklet grafisch sehr passend einfängt.
Leider will zu Beginn die düstere Grundstimmung der Lyrics nicht mit dem braven Melodic-Prog übereinstimmen, den AISLES anschlagen. „Gallarda Yarura“ ist zwar ein kleines Hoch und zeigt auf, was sich im Folgenden bestätigt: Die Stärken AISLES liegen im instrumentalen Bereich. Denn gleich das folgende „Shallow And Daft“ bietet befremdliche Anflüge 80er-Jahre Plastik-Pops, die zwar die anbiedernde Belanglosigkeit gängigen Formatradios irgendwie karikieren, aber für einen sarkastischen Kommentar zu glatt und unverbindlich wirken. Klingt inklusive Sprachsample fast wie ein Werbejingle für das Videospiel ‚GTA-Vice City‘.
Im weiteren Verlauf wird die Stimmung düsterer, die Songs drängender und konsequenter, selbst ein Duett wie aus einem, immerhin entschlackten, Musical („Sorrow“) tut dem keinen Abbruch. Doch erst mit dem Instrumental „Hero“ und dem abschließenden zehn Minüter „Melancholia“ laufen AISLES zu Hochform auf.
Im Großen und Ganzen findet auf „4:45 AM“ weitgehend lauterer Allerweltsprog statt, der nie ins Bodenlose abrutscht, aber auch sehr selten ergriffen zuhören lässt. Sehr gewöhnungsbedürftig, wenn er sich in Pop-Plattitüden versucht, die vor fünfundzwanzig bis dreißig Jahren aktuell waren, durchaus ansprechend, wenn es mit großer oder klagender Geste pastoral wird sowie kleine Jazz-/Funk- und sonstige rhythmische Exkursionen unternommen werden.
Ansätze zu etwas Relevanterem sind wieder vorhanden, bleibt zu hoffen, dass sie mit dem nächsten Album umgesetzt werden.
FAZIT: Die erste kleine Enttäuschung des Jahres. Nicht, dass „4:45 AM“ ein schlechtes Album ist, aber nach dem starken Debüt und dem soliden Folgewerk hätte man von der chilenischen Band mehr erwartet als einen schwächelnden Abglanz der Vorgänger. Glücklicherweise kriegt das Album in der zweiten Hälfte die Kurve; gewinnt an Eindringlichkeit und prägnanten Melodien, vor allem bei den Instrumentals und jenen Passagen, in denen ein gerüttelt Maß an Düsternis vorherrscht, und der helle, leicht näselnde Gesang Sebastian Vergaras in den Hintergrund rückt oder ganz außen vor bleibt.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.01.2014
Daniel Baird-Kerr
Sebastian Vergara, Germán Vergara, Rodrigo Sepúlveda
Rodrigo Sepúlveda, Germán Vergara
Alejandro Meléndez, Germán Vergara
Felipe Candia
Presagio Records/Just For Kicks
55:23
24.01.2014