AL-NAMROOD kommen aus Saudi-Arabien, einem der autoritärsten Staaten der Welt. Gerade hat ein Gericht den Blogger Raif Badawi zu 10 Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt. Badawi hatte im Internet über das Verhältnis von Politik und Religion diskutiert, was in Saudi-Arabien als Beleidigung des Islam gilt und mit dem Tod bestraft werden kann.
Auch die drei Mitglieder von AL-NAMROOD leben gefährlich. Sie spielen Metal, was in ihrem Land ohnehin an Blasphemie grenzt, und kritisieren in ihren Texten den saudi-arabischen Gottesstaat. Nicht direkt, sondern über Parabeln aus der arabischen Frühgeschichte. Das ist in Saudi-Arabien bereits strafbar. Die Musiker verstecken sich daher hinter Pseudonymen und veröffentlichen ihre Texte nicht. Kein Kontakt zur Metal-Szene ihres Landes, keine Live-Auftritte, auch nicht im Ausland.
Ein Wunder, dass AL-NAMROOD unter diesen Umständen überhaupt Alben aufnehmen. "Heen Yadhar Al Ghsaq" ist bereits das vierte. Wie die Vorgänger leidet es unter einigen Schwächen: Die Schlagzeugspuren kommen aus dem Computer, der Sound kratzt und scheppert. Doch daran stört man sich nicht lange. Es ist nach etwa 45 Sekunden vergessen, wenn der Instrumental-Track "Estahalat Al Harb" loslegt. Ein monotones Riff treibt den Song voran, darüber flattert eine irre Melodie aus einem Instrument, für das der westliche Normalhörer keinen Namen hat. Da klappt einem vor Staunen die Kinnlade runter.
Im folgenden Titeltrack ist erstmals der neue Sänger Humbaba zu hören. Auf früheren Alben der Band gab es das genre-übliche Keifen zu hören. Humbaba macht das anders. Er ruft und schreit auf Arabisch, rollt wild das "R" und lacht wahnsinnig – man sieht ihn vor sich, die Augen verdrehend, geifernd. Die perfekte Ergänzung zu den abgedrehten Klängen, die die beiden Urmitglieder Mephisto und Ostron aus ihren Instrumenten holen.
Mephisto webt das Grundgerüst aus Black und Death Metal, wobei der Fokus eher auf Erhabenheit und Bombast als auf Raserei liegt. Bei AL-NAMROOD klingen selbst die Gitarren und die Schlagzeugrhythmen orientalisch, wirklich einmalig wird die Musik aber erst durch den Beitrag des zweiten Gründungsmitglieds Ostron, zuständig für Keyboard und traditionelle arabische Instrumente.
Bechertrommel, Pfahlrohrflöte, Oud und Kanun haben die meisten Europäer schon mal gehört, selbst wenn sie mit den Bezeichnungen der Instrumente nichts anfangen können: in Dokumentarfilmen über Persien, im Kulturzentrum oder in der Döner-Bude nebenan. Wer denkt da an extremen Metal? AL-NAMROOD, denen es gelingt, das eigene Kulturerbe mit importiertem Geknüppel zu verbinden. Damit erschaffen sie etwas Neues, Aufregendes, und blasen ordentlich frischen Wind in die eingedöste Szene. Ihre Musik macht süchtig. Ihr Mut, allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Ding durchzuziehen, verdient tiefsten Respekt. Metal against oppression! sagt man dazu. Und zieht seinen Hut.
FAZIT: Ein wilder Ritt durch die Wüste, ein dunkler Trip durch Weihrauch- und Haschischwolken, babylonische Feldherren zur Rechten, Dämonen zur Linken. Ein Erlebnis.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.05.2014
Mephisto
Humbaba
Mephisto
Ostron
Mephisto, Ostron
Shaytan Productions
38:53
06.01.2014