"Shelter" stellt die endgültige Abkehr ALCESTs vom Black Metal dar, denn von den Wurzeln der beiden Protagonisten ist hier nun gar nichts mehr zu hören. Die Entwicklung ist eine ähnliche wie bei ANATHEMA, die sich irgendwann auch komplett vom Deathdoom der Anfangszeit losgesagt hatten und auf atmosphärischen Rock setzten. Damit setzt sich eine Band natürlich immer der Gefahr aus, Altfans einzubüßen, gleichzeitig besteht aber die Chance, neue Hörerschaften zu erschließen. Was bei ANATHEMA erfolgreich vollzogen wurde. Inwieweit ALCEST ihre Anhängerschar in Zukunft vergrößern können, wird sich zeigen.
Dem ätherischen Intro "Wings" folgt mit "Opale", das auch als Single ausgekoppelt wurde, ein sehr weicher, verträumter Song mit schwebenden Shoegaze-Gitarren, sanftem Säuselgesang von Neige und Gastsängerin Billie Lindahl. Düster oder gar aggressiv ist an diesem Song überhaupt nichts, wenn man sich jedoch vor Augen führt, dass der Zufluchtsort, auf den der Albumtitel sich bezieht, für Neige das Meer ist, so kann man sich vorstellen, dass das Stück prima funktioniert, wenn man an einem lauen Sommerabend am Meer sitzt und den Sonnenuntergang bestaunt. "La Nuit Marche Avec Moi" zieht das Tempo leicht an, bleibt mit akzentuierten Gitarren aber ebenso leichtfüßig wie "Opale", während "Voix Sereines" sehr reduziert startet und in einem schönen Crescendo härter wird. ANATHEMA-Fans ist diese Herangehensweise an einen Song ziemlich bekannt, wenngleich ALCEST hier sicher nicht abkupfern.
Das schöne "L'Eveil Des Muses" verschiebt die positive Grundstimmung des Albums in Richtung Melancholie, was der Abwechslung förderlich ist, während der Titeltrack kraftvoller intoniert wird und neben der Gitarre von schönen Keyboards getragen wird. Das mit Neil Halstead von SLOWDIVE am Gesang eingespielte, ruhige "Away" ist insofern erfrischend, als dass Neiges Säuselgesang auf Dauer ein bisschen zu beruhigend wirkt. Das lange, intensive und auch wieder etwas melancholischere "Délivrance" am Schluss fast "Shelter" in einem Song zusammen und geht als später Höhepunkt durch. Passend zur Musik hat "Shelter", das auf Island im Sundlaugin Studio mit Sigur-Rós-Produzent Birgir Jón Birgisson aufgenommen wurde, einen weichen, warmen Sound, der die Songs ins passende Licht rückt.
FAZIT: "Shelter" ist ein stimmungsvolles, schönes, aber manchmal auch schon fast zu schönes Album, dass trotz seiner Introvertiertheit kaum Platz für dunkle Gefühle lässt.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.04.2014
Neige
Neige, Neil Halstead, Billie Lindahl
Neige
Neige
Winterhalter
Prophecy Productions/Soulfood
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17.01.2014