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Ára: Vuoste Virdái

Stil: Jojk

Cover: Ára: Vuoste Virdái

„Vielen Dank an dich Natur, durch die erst unser Leben und Glücklichsein ermöglicht wird! Vielen Dank auch an den Tod und die ständigen Veränderungen, denen wir unterworfen sind und die uns lehren, dass wir nur ein Teil des Großen und Ganzen sind und welchen Platz wir darin einnehmen!“
Wow!
Solch ein Dankeschön habe ich bisher in dieser Art nur selten in einem Booklet gelesen. Zugleich sind dies die letzten Zeilen, die uns ÁRA in ihrem Booklet zu „Vuoste Virdái“ mit auf den Weg geben und die uns bestimmt nach dem Lesen und erst recht nach dem Hören dieses Albums nachdenklich zurücklassen. Ähnlich tiefgründig haben sich in letzter Zeit mit den Fragen unserer Existenz sowie unserer Stellung in der Natur wohl nur die deutschen Prog-Rocker von SUPERDRAMA auseinandergesetzt. „The Promise“ wurde so zu einem kleinen, sehr anspruchsvollen Glanzstück am Prog-Himmel der unendlichen textlichen Oberflächlichkeiten, indem es wie ein lyrischer Stern zwischen der Vielzahl textlicher Prog-Sternschnuppen, denen die Musik wichtiger als die Texte ist, leuchtete.

Nun aber taucht plötzlich ein bunter Musik-Papagei am Horizont auf, der mit einer ähnlich textlichen Tiefe, aber einer völlig anderen musikalischen Ausrichtung seinen Gesang anstimmt: ÁRA! Und damit wären wir auch schon beim Schlüsselwort in der Beschreibung der Musik von ÁRA: der Gesang! Die nordschwedische Band mit dem Namen, der uns sofort an einen kunterbunten Papageien denken lässt, erschafft in ihrer Musik einen bunten Kosmos, der aus Klanglandschaften besteht, die gefüllt sind mit Wörtern einer Sprache, die wir noch nie gehört haben. Wir fühlen uns hineinversetzt in eine Wildnis, in der indianische oder schamanische Gesänge sich zum Himmel erheben und dort den Geist und die Seele anbeten, die wir in unserer Lust nach immer mehr in uns längst vertrieben haben.

Auch einen Fachbegriff für diese Musik-Form gibt es, der sie ausgezeichnet beschreibt: Jojk! Darunter versteht man eine der ältesten und ursprünglichsten Musikformen in Europa, in der Text und Musik so miteinander verflochten sind, dass sie eine Form bilden. Nur die Sámi beherrschen diese Vokaltechnik, die ursprünglich zur Beruhigung der Rentiere und Abschreckung von Wölfen diente.

ÁRA wiederum kombinieren die traditionellen Sámi-Elemente mit einer Kombination aus Rock, Jazz, Weltmusik, Balladen und spärlich sogar Pop. So treffen (ur)alte Traditionen auf rockmusikalische Modernismen.

In den anderthalb das Album eröffnenden Minuten dürfen wir dann auch ausschließlich dem solistischen Gesang in der Sprache der Sámi lauschen, die statt von Worten vom Klang der Töne lebt. Und sofort wird uns klar, warum das Album den Titel „Vuoste Virdái“ (Gegen den Strom) trägt! Musik, die nicht nur vom Klang, sondern auch der Sprache her dermaßen gegen den Strom schwimmt und Absichten verfolgt, die jedem Musik-Profiteur absurd erscheinen muss, nämlich das Nahebringen einer ungehörten, aber zugleich auch unerhörten Minderheit. In den ÁRA-Worten ausgedrückt klingt dies dann so: „Die sechs Protagonisten feiern und ehren all die, die über Jahren ihren Kindern die Sprache der Sami beigebracht haben, trotz kulturellem Druck und dem drohenden Vorwurf der Altbackenheit. 'Vuoste Virdái' ist eine Würdigung all jener, die sich dazu entschlossen haben, gegen den Strom anzuschwimmen und dies bis heute tun. All derer, die stolz auf ihre Traditionen und Geschichte sind und den Mut haben, sie selbst zu sein.“

Offensichtlich verwendete MICHAEL CRETU bereits mit seinem musikalischen Musikprojekt ENIGMA in „Return To Innocence“ diese ungewöhnliche Sprache und deren Intonation, um daraus ein erfolgreiches kleines Pop-Kunstwerk werden zu lassen. Die originale Entsprechung zu diesem Song gibt’s tatsächlich bei ÁRAs „Gustu“ zu hören! Nicht umsonst hieß der ENIGMA-Song wohl gerade wegen dieser Bezüge „Rückkehr zur Unschuld“!

Es ist wirklich unglaublich schwer die Musik von ÁRA mit den Möglichkeiten, die uns unsere Muttersprache lässt, ansatzweise so zu beschreiben, wie sie ihr gerecht werden könnte. Darum aber haben uns die sechs Nordschweden <a href=" http://vimeo.com/75477123 " rel="nofollow">glücklicherweise ein Video</a> mit auf den Weg gegeben, welches man sich unbedingt im Vorfeld anschauen sollte, da es die visuelle Umsetzung des letzten Songs „Speadjárnávdi“ auf „Vuoste Virdái“ ist.

FAZIT: Ein weises Sprichwort, das zugleich mein Leitsatz ist, sagt: „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom!“ - Hier kommt das Album für alle Fische, die noch immer lebendig und tapfer gegen die immer stärkere Strömung aus Intoleranz und Dummheit anschwimmen. „Gegen den Strom“ ist ein in Töne gegossenes Lebensgefühl, das sich seinen Weg durch die jämmerlich krepierten Leichen der modernen Zivilisation bahnt und dabei hoffentlich seine Spuren hinterlässt!

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.03.2014

Tracklist

  1. Nils-Heaika
  2. Randi
  3. Bálvaleaddjit
  4. Gii
  5. Gustu
  6. Tyra
  7. Miessi
  8. Áigi
  9. Nils-Vulle
  10. Leage Sápmelaš
  11. Rievssahas
  12. Speadjárnávdi

Besetzung

  • Bass

    Daniel Wejdin

  • Gesang

    Simon Issát Marainen

  • Gitarre

    Axel Olle Sigurd Andersson

  • Keys

    Axel Olle Sigurd Andersson, Frida Johansson

  • Schlagzeug

    Christian Augustin

  • Sonstiges

    Frida Johansson (Violine), Johan Asplund (Trompete & Flügelhorn), Christian Augustin (Klarinette & Synthesizer)

Sonstiges

  • Label

    Westpark Music

  • Spieldauer

    53:15

  • Erscheinungsdatum

    28.03.2014

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