Die erste, wohl alles entscheidende Frage zum Crimson ProjeKCt ist natürlich: „Was wohl wird Mister KC-FRIPP zu diesem Live-Konglomerat aus drei Crimson-Mit- plus drei Crimson-Nichtmitgliedern sagen und denken?“
Was er sagt, das wissen wir:
„Alles okay, ihr habt meine Zustimmung!“
Was er denkt, können wir nur ahnen.
Vielleicht: „Warum bitteschön müssen denn permanent meine Ex-Leute mit meiner Musik durch die Weltgeschichte touren?“
Oder doch: „Schön, dass meine Ex-Leute mit ein paar musikalischen Wegbegleitern den Musik-Geist von KING CRIMSON am Leben erhalten?“
Wir wissen es nicht. Doch eins ist klar: Mit dieser „Live In Tokyo“-CD des Crimson ProjeKCTs erhält besagter KC-Musikgeist durchaus eine angemessene Würdigung. Das liegt natürlich in erster Linie auch daran, dass mit TONY LEVIN, ADRIAN BELEW und PAT MASTELOTTO drei Ex-KCler vertreten sind, die sich besonders in den 80ern, bzw. Mastelotto in den 90ern, jahrelang um den musikalischen Output der progressiven Rocklegende verdient gemacht haben. Aber auch der Fripp-Schüler (von 1991 bis 1998 Teilnehmer der Guitar Craft Workshops) MARKUS REUTER, der wie selbstverständlich mit einem Hang zur Perfektion in FRIPPs Rolle schlüpft, ist bewundernswert. Der Deutsche beweist tatsächlich, dass Fripp nicht ein einzigartiges Ausnahmetalent in Fragen der Instrumentbeherrschung ist, sondern ein Reuter auf Augenhöhe seines großen Übervaters zu brillieren versteht.
Die Grundidee hinter The Crimson ProjeKCt ist denkbar einfach. Nämlich das musikalische 70er- und 80er-Jahre-Erbe der, wie's scheint durch ROBERT FRIPP ad acta gelegten Kult-Band wieder in die weite Welt hinauszutragen. Dazu wird neben der „lauschigen“ USA, auch Japan und Russland und nunmehr sogar das bald „vergenmaiste“, dem großen Bruder ins handelsfreie Arschloch kriechende Europa erobert. Musik reißt zum Glück alle Grenzen ein und lässt einen immer wieder all den politischen Größenwahn und wirtschaftlich kleingeistigen, profitgeilen Schwachsinn für ein paar Stunden vergessen, wenn man beispielsweise dem live dargebotenen „Elephant Talk“ von KING CRIMSON statt dem unerträglichen Politiker-Sprech lauscht.
Überhaupt lohnt es sich diese „Live-Aufnahmen made in Japan“ in aller Ruhe zu Ohr und Gemüte zu führen. Nicht nur die hervorragende Aufnahmequalität samt toller Stereo-Effekte, auch die musikalische Perfektion der Akteure ist bewundernswert.
Im das Album eröffnenden „B'Boom“ dürfen gleich zwei „nichtoffizielle“ Crimsoraner beweisen, dass sie ansatzlos den Crimson-Sound beherrschen. MARKUS REUTER bietet herrlich geloopte Frippertronics an der Gitarre, bis am Schlagzeug TOBIAS RALPH (wahrscheinlich gemeinsam mit Mastelotto) übernimmt, um zu beweisen, dass er ganz locker auch mal den BRUFORD raushängen lassen kann. Dieses Schlagzeug-Solo ist bereits einer der Konzerthöhepunkte.
Ich selber tue mich nach wie vor, so wie ich es schon immer bei KING CRIMSON getan habe, mit dem Gesang von ADRIAN BELEW schwer, wobei mich auch „Live In Tokyo“ nicht vom Gegenteil überzeugen kann. Belew ist in der Reihe der Crimson-Vokalisten der mit Abstand schlechteste und oft kommt bei mir zumindest ein intensiver WETTON-Wunsch auf. Darum muss der Hörer auch auf alle wirklich hervorragenden Titel mit Gesang verzichten, die in der KC-Vergangenheit von anderen Sängern als Belew veredelt wurden. Mir fehlt bei solchen Konzerten darum immer schmerzhaft mein persönlicher Lieblingssong „Starless“. Dafür darf man aber das Instrumental „Red“ vom gleichen 74er Album genießen. Genauso wie den zweiten echten Nostalgiker „Larks' Tongues In Aspic, Part II“ vom 73er Album. Ansonsten gibt’s ausschließlich den progressiven Geist der KC-Inkarnation, bei der Belew und Levin gemeinsam mitwirkten, zu hören. Glücklicherweise dargeboten mit ausgiebigen Instrumentalausflügen und verhalten zurückgeschraubtem Gesang.
Am Ende bleibt für den KING CRIMSON-Fan mal wieder die Erkenntnis, dass er für seine Sammelleidenschaft, wie so oft bei KING CRIMSON, teuer bezahlen und auch dieses Album besitzen muss.
FAZIT: Es war einmal eine Band, die zu den maßgeblichen Mitbegründern des progressiven Rocks zählte. Ihr Name war KING CRIMSON. Es war einmal eine Band, die zu einem sehr verkaufsfördernden Markenzeichen wurde, das sich auch hervorragend in „Untermarken“, genannt ProjeKCte, verscherbeln ließ. Ihr Name war und ist noch immer KING CRIMSON!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.02.2014
Tony Levin, Julie Slick
Adrian Belew
Markus Reuter, Adrian Belew
Pat Mastelotto, Tobias Ralph
InsideOut Music
76:54
28.02.2014