Natürlich sollten wir mal ein wenig in Tolkiens „Herrn der Ringe“ stöbern, bevor wir uns auf die Musik von ILUVATAR stürzen, die sich nach dem obersten Buch-Gott benannten, der aus Gedanken Realität werden ließ. Eine beängstigende Eigenschaft, die am Ende auch solche Gestalten wie Freddy Kruger gebiert, selbst wenn solch kranker Massenmörder aus wahr gewordenen Träumen hervorgeht. Träume und Gedanken - ein immer wiederkehrendes Thema auch bei den amerikanischen Prog-Ring-Verehrern ILUVATAR, die sich mit „From The Silence“ nach 15 Jahren und drei Alben endlich wieder auf der Prog-Bühne zurückmelden und nach den drei eher entspannteren, bombastisch angehauchten Neo-Prog-Alben diese „Stille“ doch gehörig durchrüttelt und den epischen Neoprog-Pathos mit einer Kombination aus Retro- und modernem Prog ablöst.
Nach solchen Progvertretern wie DISCIPLINE, LITTLE ATLAS, SHADOW CIRCUS, ZEN CARNIVAL oder selbstverständlich SPOCK‘S BEARD könnte man von einer typischen amerikanischen Prog-Musik reden, die eine reizvolle Kombination aus 70er Jahre Klassik-Prog der Marken YES, GENESIS, ELP und moderner 90er- bis Gegenwarts-Eigenständigkeit sowie sehr melodiösen Songstrukturen darstellt. Auch ILUVATAR kann nach „From The Silence“ bedenkenlos in diese Reihe mit eingeordnet werden, selbst wenn in ihrer Musik des Öfteren auch den Briten von MARILLION gehuldigt wird.
Nach 15 Jahren haben sich ILUVATAR viel vorgenommen. So klingt es fast pathetisch, wenn ihr Bassist DEAN MOREKAS feststellt: „Unsere Musik ist ein erfolgreiches Gemeinschaftswerk, an dem sich jeder Einzelne gleich einbringt, beseelt von dem Gedanken, dass sie direkt aus unserem Herzen die Seelen der Hörer erreicht.“ Eine Seele hat sie auf jeden Fall erreicht, nämlich die des 10T-Label-Chefs STEVE CARROLL, der sich bereits als Fan der Band outete. Ein wirklich guter Musikgeschmack, den er da beweist. Denn „From The Silence“ ist so gestrickt, wie ein gutes Prog-Album sein sollte. Symphonische Keyboard-Kaskaden und akustische Piano-Ausflüge, E-Gitarren, die weinend singen oder schreiend rocken und akustische Gitarren, die zart das Ohr streicheln. Wummernde Bässe und dynamisches Schlagzeug, aber auch zurückhaltende Percussion und frippertronische Gitarrenschleifen. Melodien, die einprägsam den Hörer umschweben oder experimentelle Ausreißer, die einen durchrütteln. So klingt guter Prog. Wirklich guter Prog, der allerdings nie den Anspruch erhebt, das progressive Fahrrad neu zu erfinden, dafür aber ganz schön Gas auf ihm gibt und nur in den hohen Gängen fährt.
Auch die konzeptionelle Geschichte, die in „From The Silence“ erzählt wird, ist zum Glück kein so mystisch-esoterisches Gespinne, sondern eine Art Midlife-Crisis-Story, in der einen in den stillen Momenten die Gedanken bevölkern, die einem aus der eigenen Vergangenheit geblieben sind. Was war gut? Was war schlecht? Hat sich das Leben gelohnt bis hierher oder verlangt es eine radikale Änderung? Sind die Beziehungen, die man unterhält gut für einen oder doch zerstörerisch? „From The Silence“ gibt darauf zwar keine Antworten, zeigt aber, dass solche Tabula Rasa mehr als wichtig ist bevor jemand entscheidet: Rien Ne Va Plus! Oder eben wie in den letzten Zeilen des finalen Songs „Until“: „A new life / A new start / Second chance to renew the vow / Until death do us part.“
Wollen wir es nicht so weit kommen lassen und überlassen den noch mächtig lebendigen Mannen um ILUVATAR das progressive Spielfeld, in der Hoffnung, dass sie sich nicht noch einmal 15 Jahre Zeit bis zu ihrem nächsten Album lassen.
FAZIT: Prog auf der Höhe der Zeit und mit unbegrenztem Haltbarkeitsdatum. Nicht nur guter Wein oder Whiskey braucht lange Zeit zum Reifen, manchmal ist es auch ein gutes Prog-Album wie „From The Silence“ von ILUVATAR.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.07.2014
Dean Morekas
Glenn McLaughlin
Dennis Mullin
Jim Rezek
Chris Mack
10t Records / Just For Kicks
55:10
15.07.2014