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Reviews

Leon & The Folks: Carry On

Stil: Berliner Americana

Cover: Leon & The Folks: Carry On

Manchmal möchte man als Kritiker eines Albums, der sich als erstes darüber wundert, dass aus diesem das dazugehörige Booklet entfernt wurde und der stattdessen den Promo-Zettel dazu lesen muss (den man besser anstelle des Booklets hätte entfernen sollen), sofort in einen „Was soll denn das?“-Modus umschalten. Darum hier ein paar Worte zur Band-Eigenwerbung, aber nicht zu den Texten, die mir wahrscheinlich gemeinsam mit dem Booklet abhanden gekommen sein werden.

LEON & THE FOLKS sind eine aus Darmstadt nach Berlin übergesiedelte Band, die so gar nicht berlinerisch, dafür aber sehr Americana-lastig klingen. Demgegenüber aber besitzen sie einen übersteigerten Berlinstolz und eine blumige, symbolhafte Sprache, die in ihren Lobpreisungen zur eigenen Musik und Heimatstadt recht grenzwertig sind und dem Sound von „Carry On“ so definitiv nicht gerecht werden.

Wir dürfen z.B. auf ihrer Homepage lesen: „Berlin ist ein guter Ort, wenn nicht gar das gelobte Land für jeden Künstler. Hierher kommt, wer seinen Träumen beim Wahrwerden zusehen will.“ Aber hallo, liebe Berliner Jungs - zumindest sollte derjenige, der nach Berlin kommt, nicht den Luftweg wählen, da's da so ein klitzekleines Flughafenproblem gibt, das Milliarden verschlingt, die man deutlich besser in die Kultur hätte investieren können und der wahre Reiz an Träumen liegt nun mal in deren Unerreichbarkeit, die einem immer wieder neue Anreize setzt. Auch wäre es günstig, auf einen schwulen Li-La-Laune-Bären zu stehen, der alles schön redet, aber nicht wirklich besser macht und selbst die größte Scheiße „sexy“ findet, wie der gute Kuschel-Wowi. Doch Kritikerträume werden beispielsweise nicht wahr, wenn man ihnen das zum Album dazugehörige Booklet vorenthält, so als hätte der in seiner piefigen Industriestadt Riesa sitzende Schreiberling nichts Besseres vor, als ein Album der großen Berliner Künstler mit Darmstädter Wurzeln bestbietend zu verscheuern und durch die Unvollständigkeit des Produkts nur einen geringeren Eigenprofit in Aussicht. Das hätten LEON & THE FOLKS aber nicht wirklich nötig oder verdient, denn ihre Musik klingt wirklich erfrischend folkig mit sehr abwechslungsreichen Kompositionen, die sich mal tief in die Vergangenheit eines „Cocaine“-J.J. CALE oder in die Gegenwart eines „Mercy“-DAVE MATTHEWS begeben. Und richtig gut produziert ist „Carry On“ auch noch! Bereits „Got No Feelings“ beweist, wie wichtig es ist, dass gute Musik auch auf einen guten Produzenten, in diesem Fall FREDERIC JANZ, trifft, der gleich ein wenig „Californication“-Feeling der RED HOT CHILI PEPPERS und ein paar psychedelische Klangfarben mit einfließen lässt. Bis sie am Ende beim Siebenminüter „Mankind“ sogar mit dunkler Morricone-Westernmusik der Marke „Spiel mir das Lied vom Tod“ ausklingt.

LEON & THE FOLKS verinnerlichen in ihren ruhigeren, traurigen „Got No Feelings“-Momenten durchaus auch mal so richtig den Blues und warten mit Gesang auf, der einen gewissen Wiedererkennungswert hat und vor allem diese rauh-rotzige Attitüde, welche einem Song den wahren Soul einhaucht. Selbst vor Verfremdungen wird kein Halt gemacht, was einen zusätzlichen Hörreiz verschafft. Allerdings geht das Werbeblättchen in dieser Beziehung doch ein wenig zu weit, wenn man liest, dass „Carry On“ ein „fröhlicher Bastard, geschmiedet aus Feuer & Stahl, Zen & Theoriebruch“ ist. In dieser Art geht die bandinterne Eigenwahrnehmung, die sie nach außen tragen, noch weiter - sagt aber nichts von Bedeutung. Also, liebe LEON & THE FOLKS, lasst eure Musik für euch sprechen, aber nicht solche Beweihräucherungszeilen. Das habt ihr nicht nötig.

An dieser Stelle hätte ich jetzt noch ein wenig was über die Texte geschrieben, aber die liegen mir leider nicht vor - und wenn sie im Booklet standen, dann hat jemand anders für mich entschieden, dass ich sie zumindest nicht nachlesen darf. Ja, vielleicht sind die ja für LEON & THE FOLKS auch gar nicht so wichtig, selbst wenn ich in meiner Ersatz-Info lesen darf: „Eine Geschichte über Niedergeschlagenheit & Hoffnung, Lethargie & Optimismus, Rage & Geduld. Darüber, seine Gefühle ans Nichts abzugeben und später wiederzufinden. Ein Trip in die Hitze der Vorhölle und zurück in die Wärme des Lebens. Der Flug eines Jungvogels, der zum ersten Mal sein Nest verlässt.“

FAZIT: Besser kann man's, rein ironisch betrachtet, wirklich nicht sagen, gerade weil „Carry On“ das schon dritte Album der Berliner ist, welche demnach längst dem Nest entwachsen sein müssten. Viel geschrieben, aber nichts zum Ausdruck gebracht - trotzdem ein gelungenes Album, dem man so einiges anhört, was nicht nach Jungvogel, sondern altem Americana-Hasen klingt.

PS: Normalerweise werden ja unter jeder Kritik auch die Musiker einzeln aufgeführt und verlinkt, was ich mir in diesem Falle einfach spare, da sich deren Namen wohl auch im Booklet befanden. Denn wer sich extra die Mühe macht, dieses, nur weil es ein Promo- oder Kritiker-Exemplar ist, zu entfernen, hat einfach nicht die Kritiker-Mühe verdient, danach großartig im Netz zu recherchieren.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.05.2014

Tracklist

  1. Cash And Carry
  2. Got No Feelings
  3. Honky Tonk
  4. Ikarus
  5. Time Will Tell
  6. Carry On
  7. Me And I
  8. There's Somebody
  9. JJ's Law
  10. Crossing The Line
  11. Bird
  12. Mankind

Besetzung

Sonstiges

  • Label

    Soundworks / Tonpool

  • Spieldauer

    52:14

  • Erscheinungsdatum

    23.05.2014

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