Pflegt LISA LESTANDER die Bewahrung (nord)schwedischen Liedgutes bereits seit Jahren als Teil des Quartetts KRAJA, lässt diese Obsession sie auch beim ersten Solo-Album nicht los. „Lieder aus dem Norden“ heißt das Album folgerichtig übersetzt, und präsentiert genau dies. Eine Zusammenstellung fast vergessener Lieder, bevorzugt aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Doch klingt „Sånger Från Norr“ keineswegs altertümlich, sondern eher zeitlos, stammen Arrangements und musikalische Umsetzung doch von LESTANDER und ihren beiden Begleitern. Und so könnte das Werk musikalisch über weite Strecken aus dem ECM-Katalog stammen. Nordischer Folk trifft auf Kammerjazz, die zarten, fragilen und nicht selten nahezu kinderliedhaften Melodien werden erweitert um ein hauchendes, klagendes Saxophon sowie feinnerviges, verhaltenes Pianospiel und sachten Synthesizer-Einsatz. Manchmal ergänzt um LESTANDER am Flügelhorn und Mats Öbergs Mundharmonika, die mehr nach swingendem Folk als nach Blues klingt.
LISA LESTANDERs warmes Timbre sorgt dafür, dass eine kaminzimmermäßige Wohlfühlatmosphäre herrscht, die sich auch von leicht dissonanten Klängen nicht aus der Fassung bringen lässt. Ein wenig erinnert das stellenweise („Visa efter Fadern“) an eine elfenhafte Verwandte der frühen SALLY OLDFIELD („Water Bearer“), ohne allerdings Ethno-New-Age-Pop die Pforten allzu weit zu öffnen.
Etwas unglücklich ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Denn während draußen schon nahezu sommerliche Temperaturen herrschen, betreten wir nicht nur das Kinderzimmer („Övergivit“, so eine Art Ringelreihen in Zeitlupe) sondern wandern flugs hindurch zum geschmückten Weihnachtsbaum. In der zweiten Hälfte wird es arg pastoral und zumindest vorweihnachtlich („Nu tacker Gud allt folk“). Für diese Art der innigen Besinnlichkeit muss man schon ziemlich hartgesotten sein, um sie übers ganze Jahr mit Genuss ertragen zu können. Säkert som amen i kyrkan!
FAZIT: Filigrane Folk-Fragilität, nicht nachtschattig nüchtern, sondern spirituell, süß, selbstversunken, seriös, ein himmlischer Hauch am Horizont, plus ein Jota Jazz, der JAN GARBAREK lächeln lässt. Melancholische Musik für’s heimelige Holzhaus am stillen See, Alter Schwede!
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.04.2014
Lisa Lestander
Mats Öberg
Mats Öberg, Jonas Knutsson, Lisa Lestander
Westpark Music
48:12
04.04.2014